Lastwagen, Frachtgut und Lust an der Last

„Kargo Europa“ lautete das Motto des vierten Autorinnen-Forums Rheinsberg. Literatinnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz waren eingeladen, der Seilschaftkunst unter Autoren eine weibliche Note zu verleihen

Der Kanon sei eine geschlossenen Form, weil alle einstimmen können, trotzdem demokratisch und „in die Zukunft gerichtet“, meinte Ulrike Liedke. Damit wollte die Leiterin der Musikakademie Rheinsberg der dortigen Podiumsdiskussion beim 4. Autorinnen-Forum eine hoffnungsfrohe Wendung geben. Schließlich ging es um die Forderung: „Autorinnen in den Kanon!“ Doch Liedke hatte wenig Aussicht auf Erfolg.

Tilman Krause, Literaturredakteur der Welt, hielt dagegen: „Quatsch“ sei es, der Kanon sei niemals in die Zukunft gerichtet. Er werde als Orientierungshilfe gebraucht. Dabei kann es viele Kanones geben, denn Lesebegeisterte benötigten bei 90.000 Neuerscheinungen pro Jahr „geistige Orientierung“. Kanon, so entsteht der Eindruck, komme eigentlich von „Verkaufskanone“.

Die Lyrikerin Ursula Krechel wünschte sich dagegen den Siegeszug der Differenzierung. Ein Gewinn sei es, wenn viele Leute von vielen verschiedenen Büchern begeistert seien anstatt nur von einem. Birgit Dahlke, Literaturwissenschaftlerin aus Berlin, ging es allerdings zu Recht darum, dass endlich Bewegung in die Bewertungskriterien kommt, denn was bedeutende Literatur sei, sei ausschließlich an Texten männlicher Autoren entwickelt worden.

Die Diskussion war einer der Höhepunkte des 4. Rheinsberger Autorinnenforums. 80 Frauen aus den deutschsprachigen Ländern wurden eingeladen. Darunter Theodor-Wolff- und Ingeborg-Drewitz-Preisträgerinnen sowie Ingeborg-Bachmann-Preis-Debütantinnen.

Um teilnehmen zu können, mussten sich die Autorinnen mit einem Text zum sperrigen Thema „Kargo Europa“ bewerben. Von Lastwagen, Frachtgut, Festung Europa über Zugfahrt, Last des Lebens und Lust an der Last war deshalb alles dabei. Tanja Dückers wurde Siegerin des undotierten Wettbewerbs mit einem Text über die Suche nach ihren polnischen Wurzeln. Für viele Teilnehmerinnen eine Fehlentscheidung der Jury. Die 80 Einsendungen lagen zum Vergleich aus.

Vier Tage lang trafen sich die Frauen in Werkstätten, bei Lesungen und Diskussionen. Der Austausch von Frauen in einem so wenig finanziellen Erfolg versprechenden Metier wie dem Schreiben ist zumindest der Moral förderlich. Ermutigung, nicht Konkurrenz ist angesagt, denn die Zeiten sind hart. Die Krise im Buchmarkt veranlasst die Verlage, ihre Programme zu kürzen. Die Geschichte hat gezeigt, dass eine Verknappung des Marktes meist zu Lasten der Frauen ging.

Die moderne Seilschaftkunst wurde von Männern erfunden. Dazu gehört, dass in solchen Zirkeln vielfach Kriterien aufgestellt werden, die, genau besehen, für Frauen ein Korsett sind. Im Literaturbetrieb sind es die Altersbegrenzungen für Stipendien, die oft an den Aufenthalt an einem bestimmten Ort gebunden sind. Für eine Autorin mit Kindern eine verschlossene Tür. Aber auch Wettbewerbsjurys, die nicht geschlechtsparitätisch besetzt sind, sind kritikwürdig. So etwas zu ändern, waren einige der Forderungen der Teilnehmerinnen am Ende der Tagung.

Nicht zuletzt braucht das Autorinnenforum selbst endlich eine gesicherte Förderung. Denn dieses Mal konnte es nur stattfinden, weil zwei Schriftstellerinnen – Ines Geipel und Cornelia Saxe – es ehrenamtlich organisierten. WALTRAUD SCHWAB