„Ich möchte Terror via Musik“

Vor der Kreativität steht die Zerstörung: Ein Gespräch mit dem Elektronikmusiker Schneider TM über kaputte Musik, neue Tanzstile, ordentliche Remixe und warum es einen riesigen Spaß macht, Gitarreneffekte durch eine Drummachine zu jagen

Interview MOIRA LENZ

taz: Ihr erstes Album „Moist“ kam 1998 heraus. Warum hat es so lange gedauert bis zur zweiten Schneider-TM-Platte? Zu viel Nachtleben und zu wenig Arbeitsmoral?

Schneider TM: Das würde ich nicht so sagen. Heute bin ich beispielsweise schon um halb neun aufgestanden, um zu arbeiten. Promo hier, Promo da – mein Leben als Musiker hatte ich mir mal anders vorgestellt. Manchmal kann ich mich nicht erinnern: Habe ich das jetzt vor zwei Minuten gesagt oder letzte Woche? Aber ich war natürlich auch viel unterwegs. Ist man erst mal auf dem Ausgehfilm, muss man auch jeden zweiten Tag raus.

Wie wird Ihr elektronisches Soloprojekt live umgesetzt? Wird Elektro live nicht irgendwann langweilig, wenn auf Knopfdruck immer nur derselbe Sound kommt?

Natürlich ist es langweilig, wenn die Musik nur nach den Geräten klingt, mit denen sie gemacht wird. Das ist dann aber schon auf Platte so. Nachdem ich fast 15 Jahre in verschiedenen Bands gespielt habe, Gitarre, Schlagzeug, Gesang, experimentiere ich jetzt eben mit elektronischer Musik: Gitarreneffekte durch eine Drummachine zu jagen, macht zum Beispiel einen Höllenlärm! „Noise“ ist auch das Live-Zauberwort: Die Ursuppe, in der alles schon drin ist, alle Styles. Der Anfang von allem war der Urknall: ganz fetter Noise, der sich ausdehnte, und auf einmal war da Bossa Nova! Wenn man bereit ist, zu experimentieren, gibt es keinen Stillstand. Bei den Proben werden aus jedem Stück zwei neue, und wie viele es wohl werden, wenn wir erst auf Tour sind!

Ihr neues Album „Zoomer“ überrascht mit ungewohnten „sperrigen“ Rhythmen.

Die Vorliebe für „Sperriges“ stammt wohl noch aus meiner Schlagzeugervergangenheit. Aber live sind wir zwischen extrem rockig, dubartig verzerrt und Latin-Appeal; eben alles, bloß kein „4-to-the-floor“. Manchmal tanzen die Leute wie bescheuert mit Tanzstilen, die man noch nie gesehen hat, manchmal stehen sie da und raffen nichts. Dann hab ich fast das Gefühl, vor Gericht zu spielen. Aber die Zukunft des Tanzens ist offen. Letztes Jahr haben wir in Brest mit Suicide gespielt; da war ein gut aussehender Tänzer auf der Bühne, ein bisschen wie Velvet Undergrounds Gerard mit der Bullenpeitsche; je absurder wir gespielt haben, desto cooler wurde er. Nach dem Konzert war er verschwunden, wie eine Erscheinung!

Sie haben einmal gesagt, dass sich viele Inhalte am besten mit Musik transportieren lassen. Auf „Zoomer“ aber gibt es wieder Texte und Gesang!

Ich hatte einfach Lust dazu. Irgendwann habe ich wieder angefangen, bei Platten mitzusingen, oder auch unter der Dusche. Manchmal ist es einfach gut, etwas in Worte zu fassen. Bei „frogtoise“ zum Beispiel: Ich hatte diesen Traum von dem Zwitterwesen Froschschildkröte, gleich beim Frühstück habe ich den Text aufgeschrieben und dann die Musik dazu gemacht. Das war ungewöhnlich, sonst kommt bei mir zuerst der Beat, das Geräusch, die Musik und dann der Song.

Aber ich kann nicht richtig schreiben, wie zum Beispiel Jochen Distelmeyer. Wenn ich texte, dann in Englisch. Mein einziger deutscher Text war bei den Hip Young Things: „Du lässt mich Dinge sagen / ich lass dich Dinge sagen / Du lässt mich Dinge sagen / die ich nicht mal denken würde / wenn ich alleine wäre“ – und der war eigentlich englisch gedacht. Ich will kleine Geschichten erzählen, die genug Raum für eigene Bilder lassen.

Und welche Geschichten erzählt die Musik?

Lou Reed ist jetzt 60 und macht 18-minütige zornige Songs, ein angry old man. Nehme ich dann zum Vergleich die letzte Beck oder Cornelius: Das Coolste und Hippste geil zusammengemixt, toll gemacht, technisch bewundernswert. Aber es berührt mich nicht. Es ist zu glatt. Ich habe nicht das Gefühl, dass dahinter totale Leidenschaft steht, die notfalls gegen sämtliche Konventionen verstößt. Ich möchte Terror via Musik, wie Suicide, das schockt! Eigentlich muss man immer erst etwas zerstören, um es neu aufzubauen.

Ist „Zoomer“ dann das, was von „Moist“ übrig blieb?

Klar hab ich vorher ganz viel niedergerissen, oder mein Computer hat die Stücke zerstört. So funktionieren auch meine Remixe: Ich dekonstruiere völlig und baue dann neu auf, um die Leute zu überraschen und zu unterhalten, nicht um mich zu beweihräuchern. Manchmal ist aber auch viel Respekt im Spiel: Für Lambchop habe ich mit „The New Cobweb Summer“ einen „richtigen“ Remix gemacht, nicht zerstört, sondern interpretiert.