Süßes Drachenfutter

Mund auf, Nase auf, Augen auf: Das Übersee-Museum zeigt alles über Schokolade. Ein echter Urwald und eine echte Schokoküche machen die süße Geschichte zu einem sinnlichen Genuss

Unscheinbarer Spender einer bevorzugten Form von Erdenglück

Das Glück ist einen Meter lang und hoch und einen halben breit. Es wiegt 100 Kilo und es ist braun. Es duftet. Derzeit steht es im Übersee-Museum. Das Glück ist dieser Tage ein Block reinster Schokolade, 10.000 Tafeln zu einem Quader verschmolzen, der im ersten Stock im Treppenhaus den Sauerstoff anreichert mit Noten von dunkler Süße, von bitterer Zartheit, von Wärme und von Wohlgefühl.

Das vergängliche Monument – so wurde einst Schokolade in die USA transportiert, hier eingeschmolzen, dort wieder auseinandergeflossen, in tausende Tafeln gegossen – dieser paradiesische Klotz eröffnet die Ausstellung „Schokolade – die süßen Seiten Bremens“, die ab heute im Übersee-Museum zu sehen ist. Mitveranstalter ist die Bremer Sparkasse.

72 Stunden müssen sich Kakaobohnen von zwei Mühlsteinen mahlen lassen – erst dann ist der Kakao gut genug für Fachleute wie Peter Hauptmeier, Chefpatissier im gleichnamigen Café im Hotel Zur Post, der den handwerklichen Part der Ausstellung bestritten hat. Neben dem Schokoriesen am Eingang ist ein Portal gestaltet, ganz aus Schokolade. Azteken-Inschriften sind in brauner Masse nachgestaltet, Handarbeit von Postmeier in Nachtschichten – abknabbern lohnt sich nur bedingt: Diese Schokolade hat ihr Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten. In der Ausstellung dann Köpfe von Goethe, Schiller und von Marilyn, ebenfalls Postmeiersche Schöpfung.

Die Köpfe sind ein Detail, der Urwald einen Raum zuvor nicht. Er füllt den Saal, dunkel und grün, es zwitschert, zischt und plätschert vom Band, aber: „Der Wald ist echt“, versichert Roder. Der Ara zwischen den Blättern, der Leopard, das Kapuzineräffchen und der Riesenschmetterling mit den blau schimmernden Flügeln stammen aus den Magazinen und leben nicht mehr. Dafür aber die Kakaopflanze, Nabel der Ausstellung. In einer gläsernen Klimabox bei 27 Grad und 70 Prozent Luftfeuchtigkeit steht eine Gummibaum-artige Pflanze, unscheinbarer Spender einer bevorzugten Form von Erdenglück. Das mit dem Glück in Europa begann vor einem halben Jahrtausend: Da brachte der Eroberer Cortés das in Mittelamerika seit 3000 Jahren bekannte und genossene Kakao-Getränk an den spanischen Hof. „Kakao“ bedeutet wörtlich übersetzt „bitteres Wasser“ und erst die Zugabe von Rohrzucker ließ das dunkelheiße Fluid seinen Siegeszug antreten. Der begann in Bremen und in den deutschen Ländern überhaupt 1673, als der holländische Kaufmann Jan Jantz von Huesden die Erlaubnis erhielt, „außländische indianische Getränke alß Coffi und Schokelati“ in der Marktstube auszuschenken.

Schokolade war flüssiges Glück – erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde ein Verfahren entwickelt, sie fest werden zu lassen: Die Tafel, Freudenbringer und Trostspender, Gaumengaudi und Zungenspaß, war erschaffen. Und Bremen wurde zu ihrer Metropole.

Das Übersee-Museum galoppiert durch die süße Geschichte. Zeigt Bohnen, Blätter, Mehl, ein Einbaum symbolisiert den einst mühevollen Transport, Kakao-Geschirr in filigran-goldenen Haltern steht für den Luxus, den die braune Brühe einst darstellte. Die Bremer Schokoladen-Firmen – Felsche in Hemelingen, Hanseatenwerke in der Vahr, Goldina und natürlich Hachez – erleben hier ihre papierne Renaissance und an der Wand hängt ein Schrank. „Die Drachenfutter-Vitrine“, sagt Museumsmann Roder, Glasschränke wie diese hingen dereinst in Kneipen, und die Schoko-Firmen präsentierten hier ihre aktuelle Kollektion. Wenn die Nacht nun fortgeschritten war und die Wut der wartenden Ehefrau vermutlich auch, dann bezogen die Herren ein Mitbringsel aus besagter Vitrine und hofften auf heiles Heimkommen.

Auch Transfair hat ein Eckchen abbekommen. Im aufgeklappten Übersee-Koffer liegen die Schokotafeln in den bunten Verpackungen des fairen Handels. Zwei Ecken weiter leuchtet in Milka-Lila die Schokoküche, wo Besucher unter Anleitung selbst Schokolade herstellen können. Milka-Markeninhaber Kraft Suchard habe dem Anliegen, auch die Schattenseite des Schokoladengeschäfts darzustellen und den fair gehandelten Produkten einen Platz einzuräumen, nicht im Wege gestanden, betont Hartmut Roder. Man habe recherchiert, was an den Vorwürfen von Kinderarbeit auf Kakaoplantagen dran sei, so Roder, sei aber nicht weit gekommen. Der Konzern selbst bemühe sich um Aufklärung – „da haben wir natürlich gesagt, wir mit unserem Knowhow können das nicht verifizieren.“

Helge Kaiser vom Bremer Weltladen bestätigt, dass es derzeit keine hieb- und stichfesten Beweise für die Kinderarbeit-Vorwürfe gebe und ist ansonsten angesichts des Sponsors Kraft Foods „froh“, dass dem fairen Handel überhaupt ein Eckchen zugedacht wurde.

Das Probieren der Exponate ist übrigens untersagt, aber am Eingang gibt‘s ein Ticket in Form von süßen Täfelchen. Damit Kronzeuge Gaumen auch was davon hat. Susanne Gieffers

Schokolade – die süßen Seiten Bremens, bis 30.3.2003 im Überseemuseum und als Ergänzung vom 12.11. bis 17.1.2003 im FinanzCentrum der Sparkasse am Brill; der Katalog „Schokolade – Geschichte, Geschäft und Genuss“ ist im Temmen-Verlag erschienen und kostet 14,80 Euro. www.die-schokoladenausstellung-bremen.de