der baum, der momper und die bürgerinitiative
: Kreuzbergs ältester Baum ist modrig, aber vital

Die Eiche bleibt

Nach längeren Auseinandersetzungen ist es einer Kreuzberger Bürgerinitiative am Mittwoch gelungen, den ältesten Baum des Stadtteils vor der Kettensäge zu bewahren. Im frühen Morgengrauen war die dreihundert Jahre alte Stieleiche in der Fichtestraße mit einer Phalanx aus zusammengeketteten Autos und Fahrrädern gegen die herannahenden Baumfäller des Bezirksamtes gesichert.

Das böse Bezirksamt wollte dem angemoderten Baum an die Rinde gehen. Schließlich trägt der Bezirk schwer an seiner Verantwortung für eventuelle Sach- oder Personenschäden. Doch die Anwohner wollten sich ihre Eiche nicht ohne weiteres abholzen lassen.

Schon einmal sollte der arme Baum gefällt werden. Damals hatte sich ein Fichtestraßenbewohner beim Gehölzschutz besonders hervorgetan. Der SPD-Politiker Walter Momper stellte sich schützend vor die Eiche und bot den Holzfällern in Zeiten des Wahlkampfs die Stirn. Durch ein Telefonat mit dem Baustadtrat erwirkte Momper einen Aufschub, ein zweites Gutachten sollte über das Schicksal der Eiche entscheiden. Doch erst in letzter Minute kamen die Holzfreunde in die Gänge. Am Dienstagabend ließen sie Philipp Funck, den Papst aller Baumgutachter, aus Frankfurt am Main einfliegen. Der bestätigte dann am darauf folgenden Morgen, was die Anwohner erhofft hatten: Die Stieleiche sei vital, akute Bruchgefahr bestehe nicht. Das Bezirksamt zeigte sich kooperativ, die Holzhacker zogen wieder ab.

Erst im historischen Rückblick erschließt sich die Dimension dieser Auseinandersetzung. Der Kampf um den Baum ist seit Menschengedenken ein Teil urdeutscher Tradition. Er wird ausgetragen seit finsteren Zeiten, als die christlichen Missionare durchs Land zogen und die heiligen Eichen des Odin umhackten. Die Folgen sind bis zum heutigen Tag spürbar: Keine Racheblitze schlugen vom Himmel, die Vorfahren waren überzeugt und konvertierten zum Christentum. Nach dem letzten Krieg symbolisierte eine Trümmerfrau auf der Fünfzig-Pfennig-Münze den hoffnungsvollen Neubeginn, indem sie einen Eichenspross pflanzte. Später wurde der Titel „Mein Freund, der Baum“ zum Schlager der umweltbewegten Generationen.

So ist es doch auffällig, dass einer dem letzten Akt des Dramas fernblieb: Walter Momper ließ sich nicht aus dem Bett klingeln und verbat sich zudem, als Unterstützer der Aktion genannt zu werden. Schließlich ist er Parlamentspräsident – und der Wahlkampf vorbei. TILMAN GÜNTHER