„Die Differenz ist das Stück“

Brutale Frau in einer Welt, die ihre Provokationen missachtet und sogar ihren Suizid ignoriert: Ibsens „Hedda Gabler“ , jetzt am Schauspielhaus inszeniert von Sandra Strunz, ist kein reines Opfer

von LIV HEIDBÜCHEL

Manche Serien erweisen sich als ganz sinnreich: Nach Nora kommt nun eine weitere Frau aus der Feder von Henrik Ibsen auf eine Hamburger Bühne: Hedda Gabler aus dem gleichnamigen Drama des norwegischen Autors. Die Regisseurin Sandra Strunz nimmt sich ihrer jetzt im Deutschen Schauspielhaus an und setzt damit ihre Bearbeitung Ibsenscher Frauenfiguren fort.

In der vergangenen Spielzeit widmete sie sich mit Die Frau vom Meer, aufgeführt im Malersaal, Ellida, die durch ihre Ehe ins Landesinnere verschlagen wurde und stetig von Sehnsucht nach dem Meer durchdrungen ist. Strunz ließ Ellida in ihrer Inszenierung in einem Aquarium tauchen – ein Fisch in Gefangenschaft. Doch am Ende bleibt Ellida aus freien Stücken, und hierin liegt die eigentliche Überraschung der sehr dichten Inszenierung, in der die Protagonisten manchmal insektengleich an den Wänden hochkrochen.

Symbolbeladen kommt auch das Drama Hedda Gabler (1890) daher, das Ibsen direkt im Anschluss an Die Frau vom Meer schrieb. Die Hauptfigur Hedda trägt schwer an ihrem Erbe als Tochter von General Gabler: Seine Pistolen sind ständig präsent und warten unerbittlich auf ihren Einsatz. Aus Mangel an besseren Angeboten heiratet Hedda Gabler den stoffeligen Historiker Jörgen Tesman, den sie spätestens nach der halbjährigen Hochzeitsreise gründlich satt hat.

Doch nicht nur Tesman geht ihr auf die Nerven. Ihr ganzes nutzloses Leben ist ihr eine Last, ihre Langeweile unbeschreiblich. Für ihre ungewollte Schwangerschaft empfindet sie nur Ekel. So stiftet sie jede Menge Unruhe in ihrer Umgebung, treibt ihren ehemaligen Geliebten Lövborg zurück zum Alkohol und schließlich in den Suizid. Auch sonst scheut sie vor keiner Gemeinheit zurück – und kämpft doch eigentlich immer nur um Verständnis und wirkliche Aufmerksamkeit. Die jedoch bleibt ihr vorenthalten und der Selbstmord mit Vaters Waffen somit – so empfindet sie es –ihr einziger Ausweg.

Sandra Strunz betrachtet Hedda allerdings nicht nur als geschundenes Opfer: „Hedda ist eigentlich kein Opfer, sondern eine wahnsinnige Täterin. Das ist ja wirklich alles andere als die Geschichte eines Opfers. Hedda ist eine unglaublich brutale Frau. Das killt einen ja manchmal beim Lesen, mit welcher Härte die Leben vernichtet.“

Doch die Regisseurin stellt sich auch die Frage nach den gesellschaftlichen Umständen. Dabei geht es ihr nicht so sehr um Heddas berufliche Untätigkeit, sondern vielmehr um den sie – und uns alle – umgebenden Überfluss: „Es gibt so wenig Möglichkeiten zu einer radikalen Position, ohne dass man schon wieder in Ambivalenz verstrickt wird. Man hat ja so eine Sehnsucht, dass man selbst etwas bewegen könnte. Doch es gibt keine konkrete Position, und dieser Konflikt, der sich aus Mittelmäßigkeit und Indifferenz ergibt, lähmt.“

Gegen diese Lähmung strampelt Hedda Gabler an wie ein rebellischer Teenager, findet Sandra Strunz. Sie provoziert ihre Umgebung, wo es eben geht. Doch die Umwelt nimmt‘s gelassen, sogar Heddas Selbstmord. „So etwas tut man doch nicht“ ist ein zentraler Satz im Stück, der schließlich auch Heddas letzte große Provokation klein macht. Und genau diese Isolation der Protagonistin ist es, für die Strunz in ihrer Inszenierung Verständnis wecken möchte: „Es geht ja auch um diese absolute Form der Güte in diesem Stück, die ich dem Versuch, gut zu sein, gegenüberstellen möchte. Es gibt da eine Differenz, und diese Differenz ist das Stück. Diese aufgesetzte Güte der Leute bringt einen zum absoluten Stillstand. Das ist wirklich klebrigster Schleim, der da abgesondert wird. Das ist genau diese Schein-Nettigkeit, mit der wir uns umgeben.“ Durch das Aufeinanderprallen zweier entgegengesetzter Welten wird die Diskrepanz zwischen Schein und Sein umso offensichtlicher. Hedda kommt aus einer rein männlichen, einer Gouverneurswelt, Tesman aus einer Tanten-Puschen-Welt, sagt Strunz. Tesman ist weibisch und Hedda ein „verhärteter Macker“, die Pervertierung der Geschlechterrollen perfekt. Das Ehepaar spielen wie schon in der Frau vom Meer Wiebke Puls und Bernd Moss. Tatsächlich ist Hedda Gabler für Strunz eine Fortsetzungsgeschichte, die das Leben nach dem Tod der Ideale weitererzählt. Da die Regisseurin schwanger ist, wird diese Inszenierung zudem ihre vorerst letzte große Arbeit sein.

Premiere: Dienstag, 1. Oktober, 20 Uhr, Schauspielhaus