Nigerias Milliardensummenspiel

Nigerias Präsident Olusegun Obasanjo muss den Sohn von Exdiktator Abacha aus der Haft entlassen – in der Hoffnung, dass Abachas Familie nun 1,2 Milliarden Dollar gestohlene Gelder zurückgibt. Abacha stellt sich stur. Europas Banken auch

von DOMINIC JOHNSON

Nigerias Stabilität liegt in diesen Tagen in den Händen der wohl korruptesten Herrscherfamilie in Afrikas Geschichte. Die Angehörigen des 1998 verstorbenen Militärdiktators Sani Abacha müssen entscheiden, ob sie eine Abmachung mit dem 1999 gewählten Staatspräsidenten Olusegun Obasanjo über die Rückgabe illegal angehäufter Gelder umsetzen. Weigern sie sich, entgehen der nigerianischen Staatskasse nicht nur 1,2 Milliarden Dollar – die gewählten Machthaber werden auch gegenüber den Militärs bloßgestellt. Das wäre fatal ein halbes Jahr vor den nächsten Präsidentschaftswahlen, bei denen Nigerias junge Demokratie auf der Probe steht.

Obasanjo höchstpersönlich ordnete am Montagabend die Entlassung von Mohammed Abacha, Sohn des toten Exdiktators, aus der Haft an. Mohammed Abacha war am 11. Juli von einer Mordanklage freigesprochen worden. Der seit 1999 inhaftierte Diktatorensohn blieb jedoch in Haft, weil ein anderes Verfahren wegen Entgegennahme von 25 Millionen US-Dollar und 22 Millionen britischen Pfund (35 Millionen Euro) von seinem Vater im Januar 1998 noch nicht abgeschlossen ist. Es kam zu Protesten im Norden Nigerias, wo die konservativen muslimischen Generäle des Landes großen Einfluss haben. Als Mohammed Abacha am vergangenen Donnerstag erst freigelassen und dann sofort erneut festgenommen wurde, schwollen die Proteste an. Obasanjo gab nach – „im Interesse Nigerias“.

Er hatte kaum eine Wahl: Seine konservativen Gegner betreiben bereits ein parlamentarisches Amtsenthebungsverfahren gegen ihn wegen „Unfähigkeit“, das voraussichtlich heute eingeleitet werden soll. Die Familie Abacha soll außerdem mögliche Gegenkandidaten zu Obasanjo bei den nächsten Wahlen unterstützen, zum Beispiel Exdiktator Mohammed Buhari.

Seit Ende der Militärdiktatur 1999 überschattet die Rückgabe gestohlener Gelder Nigerias Politik. Allein während Abachas Diktatur 1993–98 sollen 55 Milliarden Dollar veruntreut worden sein. Vieles davon liegt bis heute auf ausländischen Konten. Im März dachte Präsident Obasanjo, er habe das Problem gelöst: Er einigte sich mit der Familie Abacha, dass diese straffrei bliebe und 100 Millionen Dollar behalten könne, wenn sie den Rest – 1,2 Milliarden Dollar – freiwillig zurückgebe. Präsident Obasanjo sprach von einer außergerichtlichen Einigung, die auf Untersuchungen in der Schweiz, Liechtenstein, Luxemburg, Spanien und den USA gefolgt sei.

Der Deal, der in Nigeria heftig kritisiert wurde, wäre nie nötig geworden, wenn die Banken in diesen Ländern Abacha-Gelder selber einfrieren und nach Nigeria schicken würden. Das ist nur schleppend erfolgt. Weltweit wurden nach nigerianischen Angaben seit 1999 bisher knapp 2 Milliarden Dollar Abacha-Gelder eingefroren, aber zum großen Teil nicht an Nigeria ausgezahlt. Auf dem Sonderkonto des nigerianischen Staates für „Looted Funds“ gingen seit 1999 lediglich 677,4 Millionen Dollar und 101,2 Millionen Euro ein. Auf 650 Millionen Dollar Abacha-Gelder in der Schweiz wartet Nigeria bis heute. Aus Großbritannien, durch das die Familie Abacha zwischen 1996 und 2000 1,3 Milliarden Dollar durch London geschleust hat, bekam Nigerias Regierung nach eigenen Angaben 150 Millionen Dollar; davon gingen 12 Millionen für die Anwälte der Familie Abacha drauf.

Von dem Deal mit Obasanjo will die Familie Abacha heute nichts mehr wissen. Es sei eine Erfindung, sagte Mohammed Abacha am Donnerstag. Obasanjo erläuterte danach den Vorgang aus seiner Sicht: „Das Abkommen wurde unterschrieben und versiegelt, aber als die Vertragstexte ausgetauscht werden sollten, zogen sie sich zurück.“

Nun hofft Obasanjo auf ein allerletztes Geschäft: Im Gegenzug für Mohammed Abachas erneute Freilassung soll auch die Familie nachgeben und die 1,2 Milliarden Dollar zahlen. Wer weiß, wie skrupellos Sani Abacha regierte, wird einer solchen Erwartung wenig Chancen beimessen.