Anti-US-Stimmungsmache in Afghanistan

In altbekannter Dschihad-Rhetorik drohen die Mudschaheddin der proamerikanischen Regierung von Interims-Staatschef Hamid Karsai und warnen vor Konsequenzen. Damit vertiefen sich die Gräben zwischen beiden Lagern

KABUL taz ■ Unverhohlener kann man wohl kaum noch drohen: „Sich auf ein paar amerikanische Wachen zu verlassen und ohne Überlegung vorzugehen, das kann noch riskante Konsequenzen für die Karsai-Regierung zeitigen.“

Diese verbale Breitseite gegen den afghanischen Interims-Staatschef feuerte die Kabuler Zeitung Payyam-e Mudschahed (Stimme des Mudschahed) in einem namentlich nicht gezeichneten Leitartikel in ihrer jüngsten Wochenausgabe ab. Hamid Karsai hatte vor wenigen Wochen seine einheimische Wache gegen US-Special Forces ausgetauscht und soll nun, auf Anraten der Amerikaner, eine private Wachtruppe für sich engagieren.

Der Rauswurf der Karsai-Gardisten war ein ganz klares Misstrauensvotum gegen Verteidigungsminister Muhammad Qasem Fahim, dem zumindest die Kabuler Gerüchteküche eine Beteiligung an dem Mord am Minister und Warlord Hadschi Abdul Qadir im vergangenen Juli zutraut. Auch wenn Karsai und Fahim danach übereinstimmend erklärten, ihr Verhältnis sei ungetrübt – in Kabul nimmt ihnen das derzeit niemand ab.

Am vergangenen Montag legte Karsai noch einmal nach und ersetzte den Kabuler Polizeichef Bassir Salangi durch einen Anhänger des früheren Königs Mohammed Sahir Schah. Salangi, ein ehemaliger Warlord, ist ein Mann Fahims.

In der afghanischen Hauptstadt machen nicht nur die Einheimischen dessen Truppe für einen Großteil der Kriminalität verantwortlich. Die Payyam-e Mudschahed, Sprachrohr der alten Mudschaheddin-Partei Dschamaat-i Islami und damit des nach der Afghanistan-Konferenz auf dem Bonner Petersberg entmachteten Expräsidenten Burhanuddin Rabbani, kanzelte Karsai auch dafür ab, dass er während der Loja Dschirga – der traditionellen Ratsversammlung im Juni – kein Parlament zu Stande gebracht habe. Das habe seine Autorität untergraben, aber er habe „noch immer die Gelegenheit, seine Handlungen zu überprüfen und seine Politik zu ändern“.

Das Parlament war während der Loja Dschirga heftig umstritten. Da die Diskussion über die Frage den Zeitrahmen der Konferenz zu sprengen drohte, würgte Karsai sie kurzerhand ab. Das Bonner Afghanistan-Abkommen, die Blaupause für die Loja Dschirga, sah ein Parlament auch gar nicht ausdrücklich vor. Aber gerade die junge Garde der Mudschaheddin, die so genannten Pandscheris, war voll für dessen Einrichtung: Sie wollten damit eine zusätzliche Kontrolle über die – aus ihren Sicht – unsicheren, royalistischen Kantonisten um Karsai einbauen.

Und Rabbani galt als Topkandidat für den Parlamentsvorsitz. Auch der ehemalige König bekam sein Fett ab. Er habe „Persönlichkeiten und ausländische Botschafter“ empfangen und damit seine Kompetenzen überschritten, hieß es in dem Artikel.

Die journalistische Attacke widerspiegelt die latente Bruchlinie zwischen den eher proamerikanischen Karsai-Anhängern und den früheren Mudschaheddin, die sich zunehmend vom Westen bevormundet fühlen und für die jede Tendenz in Richtung Demokratie nach wie vor ein rotes Tuch ist. Ihre Dschihad-Rhetorik zielt darauf ab, der eigenen Kriegspartei Legitimität zu verschaffen und ihre Rivalen mit Schlamm zu bewerfen.

So führte dasselbe Blatt im Frühjahr eine Kampagne gegen Karsai, um ihn und die Royalisten vor der Loja Dschirga in die Schranken zu weisen. Während der Loja Dschirga selbst griffen sie die damalige Frauenministerin Sima Samar an und beschimpften sie als „afghanischen Salman Rushdie“.

Noch schlägt die Stimmungsmache gegen die US-Amerikaner und andere Ausländer nicht auf die afghanische Bevölkerung durch. Aber jeder weitere von den US-Truppen verursachte „Kollateralschaden“ ist neuer Rückenwind für die alten Mudschaheddin, die die Amerikaner lieber heute als morgen in Richtung Irak abziehen sehen würden. JAN HELLER