Herta – beinhart nur für eine Nacht

In der Wahlnacht dachte Herta Däubler-Gmelin wohl noch nicht an einen Rücktritt: „Warum sollte ich?“

TÜBINGEN taz ■ „Herta! Herta!“ hatte die Tübinger Parteibasis am Sonntagabend noch gejubelt. Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin war spät aus Berlin in ihren Wahlkreis geflogen und kletterte zur Entgegennahme der Ovationen auf einen Stuhl. Da war schon klar, dass sie ihr Tübinger Direktmandat gegen die CDU-Konkurrentin Annette Widmann-Mauz verloren hatte– nicht aber, dass sie dem neuen Kabinett nicht mehr angehören wolle. Sie habe, sagte sie zwar gleich zu Beginn, „schon schönere Abende erlebt“.

Die rund 100 Genossen, die in der Pizzeria „Neue Kunst“ ausgeharrt hatten, waren sicher: „Herta bleibt!“ Ungnädig reagierte Däubler-Gmelin da noch auf die Journalistenfrage: „Treten Sie morgen zurück?“ Der Mund war spitz, die Stimme scharf: „Warum sollte ich?“ Und: „Bleiben Sie Ministerin im neuen Kabinett?“ „Ich bin Ministerin!“, sagte Herta Däubler-Gmelin beinhart.

Trotz Beifalls hatte zuvor in der drangvollen Enge der kleinen Kneipe Unmut über „die Herta“ geherrscht. Die Gespräche waren beherrscht von ihrem Konflikt mit dem Schwäbischen Tagblatt. Hat sie US-Präsident Bush mit Hitler verglichen oder hat sie nicht? Bürgermeister Bernd Weimer sagte, sie habe nicht. „Etliche Betriebsräte“ hätten inzwischen eidesstattliche Versicherungen bei der Partei abgegeben, dass ein entsprechender Bericht am Donnerstag falsch gewesen sei. Nun wolle man klagen. Christoph Müller, Chefredakteur des Blattes, ruderte inzwischen etwas zurück: Das Zitat stamme nicht aus einer öffentlichen Veranstaltung, sondern aus einem Gespräch hinterher in der Redaktion. Aber auch er könne mit Zeugen aufwarten.

Wilhelm Neusel, seit 34 Jahren Parteimitglied, sah eine „Pressekampagne“ gegen Däubler-Gmelin und machte beim Tagblatt „reinen Meinungsjournalismus“ aus. Seine Frau, Ute Neusel, durchlitt den Abend eher still, bekam vor Spannung „ganz kalte Hände“. „Wenn“, hatte eine Frau verärgert angemerkt, „uns das eine Prozent zur Mehrheit fehlen wird, dann ist Herta nicht ganz unschuldig daran.“ Trotzdem, „zur Herta“ muss gestanden werden. Sie habe mit der Kritik an George Bush „ja auch nicht so ganz Unrecht“. Außerdem sei es „unsolidarisch“ von der Landesvorsitzenden Ute Vogt, sich „so unappetitlich“ als potenzielle Nachfolgerin zu präsentieren.

Das Tagblatt hatte seine freie Mitarbeiterin Veronika Renkenberg in das verminte Areal geschickt. Man habe, sagte sie, „überlegt, ob jemand von der Redaktionsleitung mit soll“, sich dann aber dagegen entschieden. Ansonsten: „Kein Kommentar.“ Am Ende wird sie fast eine halbe Stunde mit der Ministerin diskutieren, abgeschirmt von den Leibwächtern. Er wisse, hatte Wilhelm Neusel vorher gesagt, „dass beim Tagblatt viele Journalisten mit der SPD und den Grünen sympathisieren“.

Eine Medienkampagne? Ein paar hundert Meter weiter, im Ladenlokal der Grünen am Marktplatz schüttelt Winfried Hermann den Kopf. „Ach was, ein Witz“, sagt er. Die ganze Zeit über habe das Blatt „fast zu loyal“ über die SPD-Frau berichtet, „so, dass wir uns schon fast geärgert haben“. Der Landtagsabgeordnete Boris Palmer findet, der Konflikt habe „eine tragische Entwicklung“ genommen, schon deshalb, weil Ministerin und Chefredakteur eigentlich eine „freundschaftliche Beziehung“ hätten. Er sieht die Ursache im „Selbstlauf“: „Da sind zwei Züge ohne Ausweichgleis aufeinander zugerast, und keiner hat den Rückwärtsgang gefunden.“

Ansonsten durfte bei den Tübinger Grünen unbeschwert gefeiert werden. Winne Hermann hatte 16,1 Prozent der Zweitstimmen geholt und lag damit weit vor der FDP. Da ist leicht großmütig sein. Die Mandatsträger seiner Partei eilten flugs zur SPD und gratulieren der Noch-Ministerin, die, wenige Stunden vor ihrem Sinneswandel, herzlich dankte: „Wir machen zusammen weiter!“ HEIDE PLATEN