Im Schlund

Musikfest erotisch: Maddalena Crippa treibt sich als Femme Fatale in der Literaturgeschichte herum, unterstützt von ihrem Gatten Peter Stein

Immer sind es die bösen Schönen, die im Theater, im Film, in der Literatur den Kick ausmachen. Weiber, erst süß und sanft, dann voll Zorn und List. Sie machen uns fertig, uns Männer. Sie schubsen uns vom Weg der Gerechtigkeit in den Schlund der Lust und der Sünde. Zeitweise verbrannten wir sie dafür auf dem Scheiterhaufen, doch geliebt haben wir sie immer.

Zum Beispiel „Kundry“. Kundry ist ein Denkmal männlicher Fantasie. Sie ist die einzige weibliche Rolle (abgesehen von den Blumenmädchen) in Richard Wagners „Parsifal“. Peter Stein hat sie für den Titel seiner musikalisch-szenischen Bühnenarbeit gewählt, weil Kundry und ihre Schwestern „die Ausgeburt männlicher Geschlechtsangst“ seien und gleichzeitig „die maskulinen Begierden stimulieren“. Sie erscheinen als Liliths, Nixen, Sirenen, Undinen, Hexen und Sphinxen und sind vor allem eins: durchtrieben schön.

Maddalena Crippa rezitierte im Rahmen des Musikfestes eine Auswahl durchweg männlicher Erfindungen, wobei es mit Torquato Tassos „Armida“ eher lau losging. Doch dann, nachdem schon einige Besucher schimpfend das Musicaltheater verlassen hatten, kamen die vielen Facetten weiblicher Verführungslust heraus. In einem fatal scharfen, weil durchsichtigen Fendi-Kleid, schwebte Maddalena Crippa über die Bühne. Sie steht am äußersten Rand, im roten Licht der Rauschzustände, ganz ohne Musik, rezitiert Baudelaires „Die Blumen des Bösen“: das Publikum fressend, in sich hineinsaugend. Oder in blauem Licht mit romantischer Klangfarbe, in Goethes „Der Fischer“. Ein namenloses „feuchtes Weibe“ bedrängt den Fischer – „Halb zog sie ihn, halb sank er hin.“

Maddalena Crippa beherrscht die Ausdrucksmöglichkeiten der verschiedenen Sprachen meisterlich. Heines „Sphinx“ zerfleischt ihre Männer ebenso fatal in deutscher Sprache, wie die Hexe Lilith in der englischen Fassung von Rossetti ihre Männer verführt. Mit einer weiteren Variante der Femme Fatale schlüpft Crippa schließlich in die märchenhafte todbringende „Lureley“ von Clemens Brentano.

So entschwindet sie von der Bühne, sämtliche Fischer ins Verderben gestürzt, das Publikum dankt mit stürmischem Beifall.

Hannes Krug