Sich den Aufstieg abgucken

Sie hört zu, schaut sich vielleicht die Art ab, mit der Ute Vogt in die Kameras lächelt

aus Pforzheim SUSANNE AMANN

Die Bratkartoffeln mit Quark dauern am längsten. Alle, die am Tisch in dem kleinen Lokal namens Max sitzen, haben ihr Essen. Nur Ute Vogt wartet noch auf ihre Bratkartoffeln. Sie streicht sich immer wieder ungeduldig die Strähnen des halblangen, braunen Haares aus dem Gesicht. Ihr Blick erfasst jeden, der den Raum betritt oder verlässt. Sie grüßt hierhin und dorthin und versichert sich nebenbei bei ihrer Büroleiterin der Namen. Angespannt wirkt Ute Vogt, kaum gestresst, eher sensibilisiert, um nichts zu übersehen. Die 37-jährige Sozialdemokratin fährt Wahlkampftempo, hier in ihrem Wahlkreis in Pforzheim.

Neben Ute Vogt sitzt die 30 Jahre alte Friederike Samel. Sie grüßt niemanden, denn sie kennt keinen in der nordbadischen Stadt. Sie kennt nur die Bundestagsabgeordnete Ute Vogt, von der sie lernen will: wie das funktioniert, sich als Frau in der Politik durchzusetzen, Beziehungen zu knüpfen, wie man alle schafft, wie man sich durch Berge von Material arbeitet und auf Sitzungen vorbereitet. Oder eben wie man Wahlkampf führt. Denn Ute Vogt ist Friederike Samels Mentorin beim Programm „Women for Public Leadership“ (siehe Kasten). Elf junge Frauen aus ganz Deutschland begleiten drei Monate lang Politikerinnen. Friederike Samel ist eine von ihnen.

In der süddeutschen Heimat Ute Vogts ist Samel nur zwei Tage, die meiste Zeit des Programms verbringt sie im Berliner Bundestagsbüro der Mentorin. In Pforzheim macht sie das, was die anderen aus dem Wahlkampfteam auch machen. An Abend hat sie geholfen, den Raum für eine Podiumsdiskussion in der Volkshochschule herzurichten, und nach dem Gespräch, bei dem Kandidaten aller Parteien da waren, hat sie aufgeräumt. Später ist sie mit Ute Vogt und den anderen Helfern etwas trinken gegangen.

Als Ute Vogt so alt war wie Friederike Samel, saß sie schon im Bundestag. Die Jüngere weiß, dass sie da etwas lernen kann, aber auch dass das kein Grund ist, die Politikerin anzuhimmeln. „Sie steht bei mir nicht auf einem Sockel“, sagt sie, „aber sie ist einfach eine gute, toughe Frau.“

Samel ist selbstbewusst, sagt klar, was sie will. Seit einem knappen Jahr ist sie Projektberaterin bei der Ausländerbeauftragten des Landes Brandenburg, für das Mentoring-Programm hat sie jede Woche zwei Tage Zeit. Sie hat in Bonn, Freiburg und Aix-en-Provence Politikwissenschaft und Jura studiert, ein Studium wie es für flexible, mobile junge Menschen völlig normal ist. Für den Teil, der mehr will als nur einen Abschluss, sowieso. Und das will Friederike Samel.

Dafür sammelt sie Erfahrungen. 1999 hat sie im Wahlkampf des Berliner Sozialdemokraten Walter Momper ein Praktikum absolviert, der Kandidat mit dem roten Schal erreichte das schlechteste Ergebnis der Berliner SPD seit Kriegsende. „Wenn ein paar Wochen vor der Wahl die Frage aufgeworfen wird, ob man den richtigen Kandidaten nominiert hat, dann motiviert das nicht wirklich“, sagt Samel. Interessant fand sie die Zeit trotzdem.

So eine Pleite wie mit Momper wird sie mit Vogt wahrscheinlich nicht erleben. „Sie ist wahnsinnig beliebt hier“, sagt Samel über den weiblichen Star der SPD. Vogt sitzt seit 1994 im Deutschen Bundestag, ist Chefin der SPD in Baden-Württemberg. Für den gebeutelten Landesverband hat sie bei der Landtagswahl im vergangenen Jahr acht Prozent dazugewonnen, auch wenn die CDU/FDP-Koalition in Stuttgart weiterregieren konnte. Sie sitzt im SPD-Präsidium und wurde als erste Frau überhaupt an die Spitze des prestigeträchtigen Bundestags-Innenausschusses gewählt. Sie weiß, wie das geht, sich als Frau in der männerdominierten Politik durchzusetzen.

Das will auch Friederike Samel lernen. Sie kann sich vorstellen, in die Politik zu gehen und damit genau das zu machen, was Ziel des Mentoring-Programms ist: mehr Frauen in die Politik zu bringen.

Allerdings sind einige der Erfolgseigenschaften nur begrenzt erlernbar. Vogt macht Punkte, weil sie ein Original ist mit ihrem kurpfälzischen Dialekt und Sätzen, die Kollegen manchmal vor den Kopf stoßen. Samel spricht dialektfrei. Und obwohl sie durchaus viel und spontan erzählt, wirkt sie nicht, als ob sie damit andere provozieren könnte. Parteimitglied ist sie noch nicht, aber das ist nur noch eine Frage der Zeit. Dass sie in die SPD eintreten will, zeichnete sich für sie schon lange ab, das Mentoring-Programm und Ute Vogt dienten nur noch als Auslöser für die Entscheidung. „Allein schon aus Opposition zu den ganzen Junge-Union-Leuten in meiner Klasse war ich immer für die SPD“, sagt Samel. Sie kommt aus Klewe, einem Dorf am Niederrhein. Die FDP war keine Alternative, die Grünen gab es einfach nicht in Klewe.

Etwas Erfahrung hat sie schon, durch ihre Arbeit in Fachschaftsräten, in der Hochschulpolitik. „Irgendwie war ich da immer gleich dabei“, sagt sie. Hat so die örtlichen Politiker kennen gelernt, wenn es etwa um die Einrichtung eines Kulturkellers ging. Hat mit dem Grünen Dieter Salomon in Freiburg abends ein Bier getrunken. Da war er noch nicht Oberbürgermeister, aber Samel fand es trotzdem klasse. Es muss für sie nicht in der ersten Reihe sein, nicht wie Ute Vogt. Es kann auch die fachlich-inhaltliche Arbeit im Hintergrund sein. Bei der könnte sie ihre Fremdsprachen Englisch und Französisch einsetzen, ihr Fachwissen.

Zwei Stunden dauert es noch, dann soll Finanzminister Hans Eichel in der Stadthalle von Pforzheim auftreten. Friederike Samel überlegt, was sie anziehen soll. Reichen Jeans und T-Shirt oder passt der Anzug besser? Sie hat alles dabei, da ist sie schon Profi. Ute Vogts Büroleiterin gibt ihr eines der Wahlkampf-T-Shirts, das nachher alle anhaben werden. Ute-Vogt-direkt steht darauf. Der rot-weiße Wahlkampfbus mit Ute-Vogt-Bildern und Gerhard-Schröder-Zitat ist schon zur Stadthalle vorausgefahren. Noch wird im Vorraum hin- und hergeräumt. Tische werden aufgebaut, auf denen Werbematerial ausliegen wird. Kleine Papiertafeln, auf denen Sätze stehen wie: „Stoibers Wirtschaftskompetenz: Pleiten, Pech und Pannen“ oder „Politik mit Senioren – Nur mit der SPD“. Daneben das Grundgesetz in Miniformat oder eben die weißen Ute-Vogt-T-Shirts, fünf Euro sollen die kosten. Samel hilft mit, an den Säulen die letzten Plakate aufzuhängen. „In der CDU hätte man als Frau keine Chance“, behauptet sie. „Aber in der SPD gibt es genügend starke Frauen, die auch in so hohe Positionen kommen wie Ute Vogt“, sagt sie dabei. Hans Eichel wird sich später in der Stadthalle dem Publikum als Quotenmann im Parteipräsidium vorstellen. Dort sitzen auch mit Eichel noch sieben Frauen und sechs Männer. Frauenpolitik als Männer-Selbstlob in einer Wahlkampfrede.

Samel erzählt, dass sie schon immer engagiert gewesen sei. Klassensprecherin, Wegweiserin, egal ob in der Schule, in der Hochschulpolitik, im Privaten oder beruflich. Sie habe keine Berührungsängste, viele Freunde im Ausland, keine Scheu vor anderen Kulturen. Das politische Interesse ist schon immer da gewesen. Die Begeisterung für Gorbatschow. Die Diskussionen in der Familie – auch wenn die beiden jüngeren Geschwister nicht so engagiert sind. Und die Grundüberzeugung, dass „man halt den Mund aufmachen muss, auch wenn man das erst lernen muss“. Frauen vielleicht mehr als Männer, vielleicht auch nicht – Samel weiß das nicht sicher. „Ich glaube, das ist auch immer eine Frage der Persönlichkeit.“

Die Jüngere weiß: Sie kann was lernen. Aber deshalb himmelt sie die Mentorin nicht an

Sie hat Ute Vogt beobachtet, ihre Art zu reden, zu diskutieren. Mit Frauen und mit Männern. „Es gibt da einen anderen Ton bei Männern, wenn da plötzlich eine Politikerin und kein Politiker steht. Das kann man kaum greifen, aber er ist da“, erzählt sie von den Gesprächen oder Interviews, zu denen sie Vogt begleitet hat. „Entweder man schafft sich die nötige Autorität oder nicht. Und da kann ich mir bei Ute Vogt etwas abgucken.“ Ein enges Verhältnis hätten sie und ihre Mentorin noch nicht entwickelt. „Wichtig ist, dass die Chemie zwischen uns stimmt“, sagt Samel. Das habe auch Ute Vogt gesagt.

Die ist inzwischen auch in der Stadthalle eingetroffen, die sich langsam füllt. Sie schüttelt Hände und hält kurze Schwätzchen. Samel steht daneben und man hat den Eindruck, dass sie nicht so richtig weiß, wohin mit ihren Händen. Sie hört zu und lächelt im richtigen Moment, schaut sich vielleicht die routinierte Art ab, mit der Vogt in Kameras lacht. Es wird 17 Uhr und die Ordner werden nervös, denn Eichel kommt und kommt nicht. Es ist nicht sein einziger Termin in der Gegend an diesem Tag.

„Das Politikgeschäft ist härter, als ich gedacht hätte“, sagt Samel jetzt, nach zwei Monaten eigener Erfahrung. Ute Vogts Zeitplan sei verdammt eng. Sie habe außerdem nicht erwartet, sich in so viele Themen einarbeiten zu müssen. Die Intensität sei enorm, die eigenen Grenzen müsse man kennen. Sie hat sie selbst kennen gelernt, nach zwei Wochen Einführungsseminar und einer Parlamentswoche wurde sie krank. Auch deshalb hat sie Respekt vor der Arbeit ihrer Mentorin.

Die steht inzwischen oben auf der Bühne und freut sich, dass „du, Hans, da bisch“. Sie läuft zu Hochform auf, da oben, auf dem blumengeschmückten Podest. Schlägt den Bogen von den Anschlägen des 11. September über den drohenden Irakkrieg hin zu der Finanzpolitik der Union. Und vergisst auch die Flutopfer nicht, die in Dresden, aber auch die in China und jetzt in Frankreich.

Friederike Samel beugt sich herüber und freut sich: „Da haben wir erst gestern Abend noch drüber geredet. Das ist jetzt schon das zweite Mal, dass sie Sachen von mir übernimmt.“