Eine Vernunftehe in Kaisers Farben

Borussia Dortmund gründet als erste europäische Fußballmannschaft einen Fanclub in China und ist von kolonialistischem Stolz erfüllt. Doch in Schanghai ist man mit dem fernwestlichen Brauchtum aus dem Ruhrpott noch nicht so recht vertraut

aus Schanghai MERLE HILBK

Es heißt immer, Fansein sei eine Herzenssache. Etwas, für das man sich nicht mit dem Kopf entscheiden kann, sondern das einem zufliegt wie die Liebe und vernünftige, bodenständige Leute zu höchst emotionalen Bekenntnissen bewegt. „Schalke ist mein Leben“ etwa. Oder „Borussia, meine Leidenschaft“. So kennt man das aus Europa. In China hat sich Lu Zihang soeben klar gemacht, dass es vernünftig wäre, Fan von Borussia Dortmund zu werden. Er ist Deutschstudent an einer Elite-Universität in Schanghai, und seine Kommilitonen hatten eine Einladung von „irgendeiner deutschen Organisation“ in die Hände bekommen: Gründung eines Fanclubs, Reden, Tombola. „Was ist das für ein Verein?“, fragte er. „Keine Ahnung“, sagte ein Kollege, „wichtig ist, dass du Kontakte zu deutschen Firmen knüpfst.“

So steht Lu Zihang an einem heißen Augusttag lächelnd auf dem Flur einer klimatisierten Büroetage in Puxi, dem Bankenviertel von Schanghai. Er lächelt auch noch, als ihm ein gelbes T-Shirt mit dem Aufdruck „Borussia Dortmund“ übergestreift wird. „Mögen Sie deutschen Fußball?“, fragt der Mann neben ihm, offensichtlich ein Deutscher, freundlich. „Ich habe schon viel über Bayern München gelesen“, antwortet Lu Zihang, womit das Gespräch beendet ist. „Borussia! Ich mag Borussia Dortmund, sagst du beim nächsten Mal!“, raunzt ihn ein Kommilitone an. „Mag ich ja auch“, verteidigt sich Lu Zihang, „ich hab mich ja in die Liste eingetragen.“

Er meint die Liste des „1. Schanghaier Borussia Fanclubs“. Dessen Gründung ist ein Ereignis von geradezu historischer Bedeutung. Denn der BVB ist der erste Verein aus dem kapitalistischen Ausland, der seinen Fuß auf chinesischen Boden setzt. „Damit“, flötet eine Dolmetscherin, „öffnet sich China auch fußballerisch endgültig dem Westen.“ Wer hätte damit gerechnet, dass ausgerechnet der ehemals so bodenständige Revierverein zur Kolonialmacht des deutschen Fußballs würde und in ein Terrain vordringt, das weder von Real Madrid noch von Manchester United erschlossen wurde? Und, noch wichtiger: das Riesenreich scheint Bayern-frei. Da ist es kein Wunder, dass die Herren vom BVB beim offiziellen Gründungsakt ein Hauch kolonialen Stolz umwehte. „Dieses Land ist noch unverdorben“, sagte der mit BVB-Präsident Gerd Niebaum angereiste Willi Kühne, „Leiter Merchandising“ des Vereins. Danach sprach er mit Lizenznehmern über BVB-Kneipen und Fanshops. Klar, man kenne das hiesige Problem der Markenpiraterie und den zusammengeschusterten Trikots und Trainingshosen aus Hinterhofnähstuben. „Unterstützen Sie Ihren Verein, indem Sie nur Original BVB-Artikel kaufen“, appellieren die Aufkleber, die an potenzielle chinesische Fans verteilt werden. Auf Deutsch.

Eher für Befremden unter den 60 Fanclubgründern sorgte ein Borussia-Video, in dem selige Dortmunder Fans im Chor singen, brüllen und sich boxen. Solche kollektiven Gefühlsausbrüche sind in chinesischen Fußballstadien rar. Das mag zum einen daran liegen, dass sich die meisten Chinesen für chinesischen Fußball nicht interessieren. Selbst der Sportreporter, der sich bei Gerd Niebaum als „Fußballspezialist“ vorstellt, kann sich beim besten Willen nicht daran erinnern, welcher Verein die letzte Meisterschaft gewonnen hat. „Vielleicht Harbin?“ Und der rüstige Senior, der als „Schanghai-Fan“ vorgestellt wird, kann nicht einmal den Tabellenplatz seines Teams nennen.

Fußball bedeutet für die meisten hier immer noch: europäischer Fußball. Die chinesische Liga existiert erst zehn Jahre. Die Teams gehören Unternehmern, die sich durch ihr Engagement einen guten Werbeeffekt erhoffen. Doch in China wird nur umschwärmt, wer Spitzenleistungen bringt. Und mit denen hapert’s noch bei den jungen Teams. Niemand würde sein Herz an einen Verein verschenken, der in der Abstiegszone herumkraucht. Nur das Image des Siegers zählt. Clubs wie Freiburg oder St. Pauli könnten in China noch so viel Reklame machen, kostenlose Totenkopfshirts verteilen und mit ihrem David-gegen-Goliath-Image spielen – sie hätten keine Chance.

Was ihn an Dortmund fasziniert? Neu-BVB-Fan Lu Zihang überlegt nicht lange. „Das gelbe Trikot“, antwortet er. Die mutige Farbgebung – in Deutschland als geschmacklos verschrieen – gefällt in China. Gelb ist hier die Farbe des Kaisers. Den gibt es zwar seit 100 Jahren nicht mehr, aber trotzdem verleiht sie eine gewisse Aura von Macht und Überlegenheit. Kein Wunder, dass sie in der Sportschau des Staatssenders CCTV5 ehrfürchtig die Dortmunder Erfolge aufzählen. „Die Leute wollten sich mit unseren Trophäen fotografieren lassen“, erzählt Willi Kühne, der Mann fürs Merchandising. Meisterschalen, Schüsseln, Pokale: 50 Kilo Übergepäck, sagt Kühne, habe er mit in die Lufthansa-Maschine geschleppt.

Lu Zihang klatscht höflich, als das BVB-Lied, in dem viel von Liebe die Rede ist und natürlich auch von Tradition, etliche Dezibel zu laut aus den Boxen wummert. Er klatscht, als ein Deutschprofessor seiner Universität von seiner frisch entdeckten Borussia-Zuneigung berichtet. Selbst beim dritten Vortragsredner demonstriert er noch tapfer Begeisterung, genau wie die anderen Chinesen im Saal. Das macht die konfuzianische Erziehung. Der Fanclub wird bald schon ein eigenes Büro in Schanghai haben, mit BVB-geschulten Kräften, die sich ausschließlich der Mitgliederbetreuung widmen sollen.

Ob sich das lohnt, wird Gerd Niebaum gefragt. „Da mache ich mir keine Sorgen“, erwidert der Präsident. Nur gut, dass er keine Zeit hatte, sich allzu lange mit den neuen Fans zu unterhalten. Mit der redseligen Dame in der ersten Reihe zum Beispiel, Repräsentantin von Nordrhein-Westfalen. Oder mit den blonden Ingenieuren aus Reihe drei – alles Deutsche im beruflichen China-Einsatz, die ihr Borussen-Leibchen in einer Plastiktüte unter dem Sitz verwahren. Also, Borussia würden sie eigentlich hauptsächlich deswegen mögen, weil „da der Held der WM gespielt hat“. – „Welcher Held?“ – „Der Dunkelhaarige mit der roten Karte.“ Michael Ballack. Ein toller Spieler. Leider war der bei Kaiserslautern und Leverkusen unter Vertrag – bis ihn die Bayern köderten. Allein: in Dortmund war er nie.