Dialog verzweifelt gesucht

Die USA ziehen Lehren aus den Anschlägen des 11. September, die ihre Verbündeten nicht teilen. Der große Bruder wird uns fast unheimlich. Die taz fragt: Ist die deutsch-amerikanische Freundschaft noch zu retten? EDITORIAL

„Krieg gegen die USA“ titelte die taz vor einem Jahr, unter dem Eindruck des Infernos von New York. In den ersten Stunden nach dem Einschlag der Passagiermaschinen in die beiden Türme des World Trade Centers überschlugen sich die Meldungen, Fragen und Einschätzungen.

Wer hatte diese mit teuflischer Präzision ausgeführten Anschläge organisiert? Wie viele tausend Menschen sind unter den Trümmern begraben? Welche Absicht steckt dahinter? Wer wollte die USA auf diese Weise herausfordern? Welche Reaktion würde und sollte darauf erfolgen?

Heute wissen wir, was nach den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon folgte: Die USA fühlten sich auf perfide Weise angegriffen und erklärten dem Terrorismus den Krieg.

Sie forderten von Afghanistan die Auslieferung des mutmaßlichen Organisators der Anschläge, des saudischen Extremisten Ussama Bin Laden, und sie schmiedeten eine beispiellose Allianz unterschiedlichster Staaten für ihren Antiterrorfeldzug. Die deutsche Regierung stellte sich an die Seite Washingtons; über die Frage einer militärischen Beteiligung Deutschlands am Krieg gegen den Terror wäre die rot-grüne Koalition um ein Haar zerbrochen.

Seither hat die von Gerhard Schröder beschworene „uneingeschränkte Solidarität“ tiefe Risse bekommen. US-Präsident George W. Bushs Wildwest-Rhetorik („Wir wollen Ussama – tot oder lebendig“) klang fremd und schrill für europäische Ohren. Pazifistische Gruppen protestierten gegen den Bombenkrieg in Afghanistan. Und das Unbehagen über die offene Ankündigung von US-Vizepräsident Richard Cheney, nach dem überraschend schnellen Sieg über die afghanischen Taliban als Nächstes den Irak anzugreifen, reicht gegenwärtig bis in die Spitze der Bundesregierung.

Was bleibt von der transatlantischen Allianz, von der deutsch-amerikanischen Freundschaft, wenn sich die USA von der Nachkriegsära verabschieden und das Zeitalter der amerikanischen Alleingänge ausrufen?

Immer noch einiges: die Faszination an einer lebendigen Kultur, die Solidarität kritischer Denker hüben wie drüben und die Lust an der Kreativität, wie sie die Künstler Raymond Pettibon aus den USA und Daniel Richter aus Deutschland in der heutigen taz präsentieren. Genug Stoff jedenfalls für eine taz-Sonderausgabe voller Reportagen, Interviews, Essays und Polemiken, die alle eines wollen: Material für die offene, breite Debatte zwischen Deutschland und den USA liefern, die gerade jetzt linke und liberale Kräfte in den Vereinigten Staaten von uns fordern. STEFAN SCHAAF