Täter aus deutschen Landen

Lag das Hauptquartier der Attentäter des 11. September in Hamburg? Bisher gibt es nur eine deutsche Anklage gegen Verantwortliche der Anschläge. Generalbundesanwalt Kay Nehm steht unter Druck

von CHRISTIAN RATH

Schon wenige Tage nach den Anschlägen des 11. September richtete sich das Augenmerk der Welt auf Hamburg: Drei der vier Piloten kamen aus der Hansestadt. Vermutlich waren sie sogar Anführer der jeweiligen Entführerkommandos. War Hamburg das Hauptquartier der Attentäter?

Auf den ersten Blick scheint es so. Hier fand sich im Lauf der Neunzigerjahre ein Kreis zusammen, der sich von einem islamistischen Diskussionszirkel allmählich zur Terrorgruppe radikalisierte. Sieben Personen sollen es nach der Anklageschrift von Generalbundesanwalt Kay Nehm mindestens gewesen sein: die drei Piloten Mohammed Atta, Marwan al-Shehhi und Ziad Jarrah, die drei inzwischen Flüchtigen Said Bahaji, Ramzi Binalshibh und Zakariya Essabar sowie der einzig Inhaftierte, der Marokkanaer Mounir al-Motassadeq. Sie ließen sich Bärte wachsen und gaben den westlichen Lebensstil weitgehend auf. Sie empörten sich über Israel und sahen das Afghanistan der Taliban als Modell eines islamischen Staates. Etwa im Oktober 1998 begannen sie über Anschläge mit Flugzeugen nachzudenken, so die Anklageschrift.

Der Ägypter Mohammed Atta galt intern als Boss der Gruppe, wohl weil er der Älteste war, gut Deutsch sprach und organisieren konnte. Von wem indes die Anschlagsidee stammte, ob von der Hamburger Zelle oder aus dem Ausland, ist bis heute unklar. Im Herbst 1999 und im Frühjahr 2000 reisten die Mitglieder von Attas Gruppe jedenfalls nach Afghanistan und lebten monatelang in Ausbildungslagern, die maßgeblich von al-Qaida unterhalten wurden. Dort sollen auch Gespräche mit bisher namenlosen Hintermännern geführt worden sein.

Anschließend lernten die drei späteren Piloten in Flugschulen in Florida das Steuern von Passagiermaschinen, während die Übrigen in Hamburg die Vorbereitungen koordinierten. „Man kann aber wohl nicht annehmen, dass die Anschläge allein von Hamburg aus geplant und gelenkt wurden“, betont Kay Nehm und tritt damit US-Justizminister John Ashcroft entgegen, der Hamburg als „zentrale Basis der Anschläge“ bezeichnet hatte.

Kay Nehm steht wegen seines strikt rechtsstaatlichen Kurses unter Druck. So hatte er im Sommer 2000 Ermittlungen gegen die islamistische Szene Deutschlands abgelehnt – mangels ausreichender Verdachtsmomente. Nach dem 11. September erinnerte ihn das Bundeskriminalamt schnell daran, und spekulationsfreudige Medien wie der Spiegel fragten, ob die Angriffe von New York und Washington vielleicht vermeidbar gewesen wären.

Im Juli 2002 gab es in Hamburg dann zwar aufwändige Hausdurchsuchungen im Umfeld der Al-Quds-Moschee und eines islamistischen Buchladens. Allerdings wurden die sieben verhafteten Araber nach dem Verhör sofort wieder freigelassen. US-Medien waren irritiert, in den Staaten ist man anderes gewohnt. Auf freiem Fuß ist auch immer noch der Hamburger Geschäftsmann Mamoun Darkazanli, der seit Jahren mit Al-Qaida-Finanztransaktionen in Verbindung gebracht wird.

Zum Jahrestag der Anschläge ging der Generalbundesanwalt jetzt in die Offensive. In einem FAZ-Beitrag erklärte er seinen Kritikern, er sei nicht gewillt, rechtsstaatliche Standards abzusenken und polizeiliche Maßnahmen auf „Vermutungen“ zu stützen. Für einen Verdacht seien nach wie vor „tatsächliche Anhaltspunkte“ erforderlich. Zugleich ließ er gestern die Geschäftsräume einer deutsch-syrischen Firma in Norddeutschland durchsuchen. Dort sollen unter dem Deckmantel eines Textil- und Porzellanhandels Islamisten ein- und ausgeschleust worden sein. „Wir tun was“, ist Nehms Botschaft zum 11. September 2002.

Dass der sonst so nüchtern wirkende Nehm Sinn für Symbolik hat, war Ende August deutlich geworden, als er in Karlsruhe die Anklage gegen den Marokkaner al-Motassadeq vorstellte, die erste gegen einen Verantwortlichen der Anschläge. „Wir sind durchaus stolz, dass wir noch vor dem Jahrestag fertig geworden sind“, erklärte Nehm mit Blick auf die zahlreich vertretenen US-Medien.

Leider ist der Anklage anzumerken, dass sie für das Publikum formuliert wurde. Denn die Beweislage ist eher dünn. So wird al-Motassadeq vor allem vorgeworfen, er habe das Konto eines der Todespiloten verwaltet. Ob aber Überweisungen in die USA bereits die Kenntnis der Tatpläne belegen? Hier scheint sich Kay Nehm etwas zu sehr auf Vermutungen zu verlassen. Erstaunlich ist auch, dass al-Motassadeq nach dem 11. September nicht untertauchte. Das Hanseatische Oberlandesgericht wird jetzt prüfen, ob es eine mündliche Verhandlung eröffnet. Bisher jedenfalls sind die Ermittlungs- und Gerichtsverfahren gegen Islamisten in Deutschland (siehe Kästen) auffallend unaufgeregt abgelaufen. Und daran hat Kay Nehm durchaus seinen Anteil.