Geschichte(n) „erfahren“

Verkehrspolitiker Michael Cramer (Grüne) über die Funktionen des Mauerradweges

taz: Braucht Berlin den Mauerradweg?

Michael Cramer: Es ist kultur- und geschichtslos, wenn nur wenig Authentisches heute noch an die 28-jährige Spaltung der Stadt erinnert. Der rot-grüne Übergangssenat hat anlässlich des 40. Jahrestags des Mauerbaus endlich dieses Defizit erkannt und alle noch verbliebenen Mauerreste unter Denkmalschutz gestellt. Zudem wird der Weg ausgeschildert und fahrradfreundlich ausgebaut. Damit hat Berlin die Chance, sanften Fahrrad-Tourismus mit erlebter Stadtgeschichte zu verbinden.

Die Stadt hat in Sachen Fahrrad-Tourismus nicht gerade ein positives Image.

Aber Berlin hat Möglichkeiten wie kaum eine andere Stadt: ideale landschaftliche Gegebenheiten, eine dezentrale Stadtstruktur und sehr gute Anbindungen an Bus und Bahn. Berlin hat eine große Zukunft als Drehscheibe für sanften Fahrrad-Tourismus in der Region. Die Verkehrspolitik muss Stadt und Umland intelligent verknüpfen, mit den vorhandenen Fernradwegen – und nicht zuletzt mit dem Mauerradweg.

Die Sanierung des Mauer-Weges ist nicht primär fahrradfreundlich. Drücken Sie da als Verkehrspolitiker ein Auge zu?

Die Innenstadt mit ihren stark befahrenen Durchgangsstraßen muss fahrradfreundlicher werden, etwa mit großzügigen Fahrradstreifen – keine Frage. Aber: Der Mauerradweg darf nicht dazu missbraucht werden, die spärlichen Reste des Grenzstreifens zu beseitigen. Die müssen bewahrt bleiben. Der ein oder andere – im wahrsten Sinne des Wortes – historische Stolperstein gehört dazu. Die Leute sollen sich fragen: „Was war hier eigentlich damals?“

Machen Stolpersteine alleine die Mauer-Route schon attraktiv für Rad-Touristen?

Zum Mauerradweg gehört das Buch mit allen wichtigen Informationen. Er vernetzt auch vorhandene Wege in der Region miteinander. Ein Abschnitt ist zum Beispiel Teil der Strecke Berlin–Kopenhagen. Der Mauerradweg ist nicht nur ein regionaler Verkehrsweg, sondern auch ein gemeinsames Ost-West-Denkmal. Dass man gemeinsame Geschichte und Geschichten auf dem Rad „erfahren“ kann, ist zukunftsweisend.

INTERVIEW: CHRISTOPH RASCH