Dreigestirn und Star-Quartett

Die Berufung Sir Simons überstrahlt derzeit das Wirken der anderen Orchester der Stadt. Dabei können manche von ihnen durchaus mit Aufsehen erregenden Leistungen glänzen

Gegen Sir Simon von der Sonne und die neu organisierten, schon immer privilegierten Philharmoniker sehen die anderen Orchester der Stadt im Moment etwas alt aus. Sicher, auch das Deutsche Symphonie-Orchester (DOS) setzt seit Amtsantritt des von der amerikanischen Westküste gebürtigen Kent Nagano auf die Kraft der persönlichen Ausstrahlung. Außerdem rechnet man mit dem Appeal eines mit neueren Stücken durchsetzten Konzertprogramms. So richtig ins Licht getreten ist das Orchester indessen noch nicht. Und die ganz kleinen Veränderungen sind womöglich ebenso effektiv gewesen wie die neue Corporate Identity als weltoffener, fortschrittlicher Klangkörper – das DSO hat Programmhefte, die ungeheuer konzertbesucherfreundlich gestaltet sind.

Ganz im Verborgenen setzt auch das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB), das älteste Rundfunkorchester Deutschlands, auf die Moderne. Von den knapp hundert Werken, die man in der neuen Saison spielt, sind mehr als die Hälfte aus dem 20. Jahrhundert. Das RSB bekommt in diesem Herbst ebenfalls einen neuen künstlerischen Leiter – den 1939 geborenen Marek Janowski. Das geht in all dem Trubel fast ein wenig unter. Beim Klappern fürs Geschäft kann man sich beim RSB anscheinend noch eine Scheibe vom philharmonischen Betrieb abschneiden. Dabei hat auch die Komische Oper einen neuen Dirigenten: Kyrill Petrenko, blutjung und sehr engagiert, ist mit einer bundesweit besprochenen „Ring“-Aufführung in der Provinzstadt Meiningen hervorgetreten. Zu diesem Dreigestirn, das das Berliner Quartett der Glamourösen – Barenboim, Nagano, Rattle und Thielemann – ergänzt, gehört auch Eliahu Inbal, der das Berliner Sinfonie-Orchester seit 2001 leitet.

An der Deutschen Oper im alten Westberlin arbeitet Christian Thielemann, der noch als Gymnasiast damit begann, Herbert von Karajan zur Hand zu gehen – und auf diese Weise langsam in das Geschäft einstieg, ganz ohne Studium. Heute ist er der international bedeutendste deutsche Dirigent seiner Generation. Thielemann trägt eine ordentliche Frisur, er dirigiert mit Vorliebe das schwergewichtige deutsche Repertoire von Wagner, Strauss und Pfitzner. In diesem Sommer ist er auch wieder in Bayreuth aufgetreten. Derselben Generation wie Rattle zugehörig, steht er – zumindest in Repertoire und Herangehensweise – allerdings wohl eher Daniel Barenboim nahe.

Der sorgt an der Staatsoper Unter den Linden für die Anbindung an die internationale, zahlungskräftige Gemeinschaft der Opernaficionados. Richard Wagners Musik hat er in großen Zyklen nach Japan, Unter die Linden und, in Aufsehen erregenden Aktionen, auch nach Israel gebracht. Dieser Tage dirigiert Barenboim in Berlin ein israelisch-arabisches Jugendorchester, unter anderen mit Werken Beethovens. Dessen neun große Symphonien hat er vor wenigen Jahren in einer Einspielung vorgelegt, die sich selbstbewusst gegen die Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis richtet. So stellte Barenboim zugleich die Staatskapelle von neuem als Konzertorchester vor.

CHRISTIANE TEWINKEL