Die große Koalition

Alle Parteien haben das Internet in ihre Wahlprogramme einbezogen. Aber in der Praxis setzen sich die alten Verfechter der inneren Sicherheit gegen die junge Generation der Netzuser durch

von KONRAD LISCHKA

Bisher gab es keine Wirtschaftswunderkinder wie Lars Windhorst oder Jost Stollmann zu sehen. Vielleicht ein gutes Zeichen für diesen Wahlkampf: Nach dem jähen Ende der New Economy stehen die Chancen nicht schlecht, dass die Parteien Informationstechnologie als gesamtgesellschaftliches Thema jenseits der Börsengänge entdecken.

Vergessen haben sie es zumindest nicht: Tauchte im SPD-Wahlprogramm 1998 das Internet als Begriff gar nicht auf, kommt es nun achtmal vor. Ähnlich bei den anderen Parteien. Doch obwohl die Schlüsseltechnik jeder wirtschaftlichen Erneuerung öfters erwähnt wird als zuvor, ist schwer auszumachen, welche Positionen sich bei den anstehenden Richtungsentscheidungen innerhalb der Parteien durchsetzen werden.

Exemplarisch dafür ist die Vielstimmigkeit der Union zur Vorratsspeicherung von Verbindungsdaten. Im Internetpapier des CDU-Vorstands wird sie „aus rechtsstaatlichen wie auch aus wirtschaftlichen Gründen“ abgelehnt. Die Internetbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Martina Krogmann, kritisiert sogar einen „erheblichen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung“. Die Parteioberen jedoch sehen das ganz anders. Ende Mai nahm der Bundesrat mit der Mehrheit der unionsgeführten Länder ebendiesen Gesetzentwurf an. Aus der bisher geltenden Höchstspeicherfrist soll eine Mindestspeicherfrist werden, Polizei und Geheimdienste sollen umfassende Rechte bekommen, auf die Daten zuzugreifen.

Parteiinterner Streit kam deshalb nicht auf, und in den 74 Seiten des Unions-Regierungsprogramms taucht der Begriff „Internet“ nur zweimal auf, einmal in dem Satz: „Wir werden auch im Internet keine rechtsfreien Räume dulden.“ Konkreter wird das Wahlprogramm nicht, die „Leitlinien zur inneren Sicherheit“ der CDU allerdings sind das schon. Darin werden „erweiterte Rechte für die Polizei“ auf „Durchsuchung von Computern ohne Hinzuziehung von Staatsanwälten oder Richtern“, die Ausweitung „auf andere Computer in einem Netzwerk“ und „Mindestfristen bei der Speicherung von Daten im Telekommunikationsgesetz“ verlangt.

Traditionslinien

Jörg Tauss, Medienbeauftragter der SPD-Bundestagsfraktion, kritisiert: „CDU und CSU müssen noch vor der Wahl klären, was gilt: die Ablehnung der Vorratsspeicherung des CDU-Vorstands oder Stoibers Kurs in eine bürgerrechtsfreie Informationsgesellschaft“, und behauptet mutig für seine Partei: „Wir sind gegen die Vorratsspeicherung und halten sie zudem für verfassungswidrig.“

Nur hatte den entsprechenden Gesetzentwurf das SPD-regierte Niedersachsen in den Bundesrat eingebracht. Ein ähnlicher Vorstoß Bayerns und Thüringens war im Herbst 2001 gescheitert, damals hatte die Union noch nicht die Mehrheit in der Kammer. Zwar kritisiert die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme vom 16. Juli die geplante Mindestspeicherpflicht für Internetverbindungen, aber nur sehr behutsam.

Trotz dieser widersprüchlichen Positionen innerhalb der Volksparteien seien klare programmatische Unterschiede auszumachen, stellt der Gießener Politikwissenschaftler Christoph Bieber fest: „Die kann man schon an den Traditionslinien der Parteien festmachen, gerade bei Themen, die klar den herkömmlichen Feldern wie Wirtschafts- oder Bildungspolitik zuzuordnen sind.“ Ähnliches gelte auch für die innere Sicherheit.

Ihrer ideologischen Tradition entsprechend lehnen Grüne und FDP in ihren Wahlprogrammen denn auch recht eindeutig die wahllose Speicherung von Verbindungsdaten für die Polizei ab. Schamhaft spricht die PDS lieber von „überwachungsstaatlichen Methoden“, die allgemein abzulehnen seien

Meinungsfreiheit

Ein ähnliches Thema ist die Frage nach Filterung von Internetinhalten. Auch hier müssen individuelle Freiheitsrechte gegen das durch staatliche Interventionen durchzusetzende Gemeinwohl abgewogen werden. Martina Krogmann hält die Erziehung zu einem „kompetenten Umgang mit den neuen Medien“ für den wirksamsten Jugendschutz. Im Unionsprogramm steht das etwas anders. Zwar heißt es zunächst auch, die „Demokratie“ brauche „freie und unabhängige Medien“. Allzu frei sollen sie jedoch nicht sein: Angesicht der „immer hemmungsloseren Darstellung von Gewalt […] vor allem im Fernsehen und im Internet“ sei „ein strengerer Jugendschutz“ mit „spürbaren Sanktionen“ notwendig.

Alvar Freude, einen der Gründer der Initiative www.odem.org, die gegen jede Art der Zensur protestiert, überraschen die innerparteilichen Widersprüche nicht: „Neben den zwischenparteilichen Unterschieden differieren die Auffassungen innerparteilich stark nach der Erfahrung im Umgang mit dem Medium. Jene zumeinst jüngeren Politiker, die täglich damit umgehen, denken durchaus realistischer.“

Auch das SPD-Wahlprogramm fordert den Einsatz „neuartiger Filtertechnologien“. Welche Filter hier wohl gemeint sind – serverseitige oder solche, deren Kriterien die Nutzer selbst bestimmen können? Jörg Tauss präzisiert: „Für uns kommt allein der teilnehmerautonome Einsatz von Filterprogrammen am Client-PC, etwa durch Eltern oder Lehrer oder andere, in Frage.“ Als Anfang 2002 der Düsseldorfer Regierungspräsident Jürgen Büssow (SPD) mehr als 80 Internetprovider zur Sperrung rechtsextremer, in den Vereinigten Staaten gehosteter Internetseiten verpflichtete, kritisierte ihn Parteigenosse Tauss am schärfsten, andere, wie die SPD-Europaabgeordnete Karin Juncker, unterstützten Büssow hingegen.

Einhellig ist die Ablehnung zentraler Filterung nur bei den Grünen – hier steht sie sogar im Wahlprogramm –, der FDP und der PDS. Deren medienpolitische Sprecherin Angela Marquardt verlangt sogar ein Verbot von Filtern an öffentlichen Internetzugängen, und der medienpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Hans-Joachim Otto, wirft der SPD vor, mehrheitlich eher auf Seiten der innenpolitischen Hardliner in der CDU zu stehen: „Schon in der Vergangenheit hat sich immer wieder erwiesen, dass der Kollege Tauss in seiner eigenen Fraktion leider ein Außenseiter ist, dessen Mahnungen zumeist nicht gehört werden.

Eines der wichtigsten Themen der Netzgesellschaft sprechen allein die Grünen in ihrem Wahlprogramm klar an: Unter der Überschrift „Wirtschaften in der Wissensgesellschaft“ fordert die Partei darin: „Die Kategorie des ‚geistigen Eigentums‘ muss in der Informationsgesellschaft neu gefasst werden.“

Urheberrecht

Eine neue Balance zwischen Gemeinwohl und Investitionsschutz ist angesichts neuer Technologien in der Tat notwendig. Exemplarisch für dieses Problem ist der in den Vereinigten Staaten existierende und in der EU anstehende gesetzliche Schutz von Kopierschutzmechanismen. Verbraucher haben danach zwar das Recht auf Privatkopien, ebenso darf zu Bildungszwecken in einem bestimmten Umfang kopiert werden – doch ständig neue Kopierschutztechniken der Medienindustrie und Prozessdrohungen nach US-Vorbild beginnen auch in Europa, diese Rechte auszuhöhlen. Der aktuelle Regierungsentwurf des „Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ schützt deshalb in Paragraf 95 a zwar Kopierschutzmaßnahmen generell, verpflichtet aber in Paragraf 95 b die Rechtsinhaber in bestimmten Fällen – wie etwa der Vervielfältigung zum privaten Gebrauch –, den Begünstigten die notwendigen Mittel zur Nutzung dieses Rechts verfügbar zu machen.

Sowohl die Grünen als auch die SPD sehen die durch „Digital Rights Management“-Software mögliche lückenlose Kontrolle und Lizenzierung von Inhalten kritisch. Jörg Tauss von der SPD erkennt ein Risiko, wenn „die Contentindustrie mittels internationalen Urheberrechts versucht, auf die Infrastrukturen durchzugreifen, und damit die offene und freie Entwicklung der Netze behindert“. Das Internet sei nämlich mehr als nur ein „Vertriebsweg“ und dürfe nicht dem „Monopol von Partikularinteressen untergeordnet werden“.

Ebendas könne der Regierungsentwurf verhindern, meint der Sozialdemokrat, und auch Angela Marquardt von der PDS lobt die darin gefundene Balance: „Kopien müssen für den privaten Gebrauch zulässig sein, sofern sie weder direkt noch indirekt Erwerbszwecken dienen.“

Nach der Wahl

Marquardt plädiert nun für eine schnelle Umsetzung, bevor „der gefundene Kompromiss einseitig zugunsten der Interessen der Industrie aufgeweicht wird“. Das ist bei einem Regierungswechsel wahrscheinlich. Im FDP-Wahlprogramm heißt es: „Erst ein wirksamer Schutz des geistigen Eigentums durch das Urheberrecht schafft die notwendigen Anreize für kreative Tätigkeit und für Investitionen in deren wirtschaftliche Verwertung.“ Ähnlich sieht das auch Martina Krogmann von der Union und folgert: „Insofern kann sich das Urheberrecht auch positiv auf das Gemeinwohl auswirken.“

Aber die alte Regierung müsste nach einem Wahlsieg erst einmal nachsitzen. Nur bis zum Entwurf brachte es das im rot-grünen Koalitionsvertrag vereinbarte Informationsfreiheitsgesetz. Und Grietje Bettin von den Grünen beklagt: „Das Arbeitnehmerdatenschutzgesetz mussten wir auf die nächste Legislaturperiode verschieben.“

kl@konrad-lischka.de