Einfluss des Islam

Der zentralasiatische Vielvölkerstaat Usbekistan ist seit seiner Unabhängigkeit 1991 eine – auf dem Papier – demokratische Republik. Tatsächlich regiert Präsident Islam Karimow seine rund 26 Millionen Untertanen wie ein Despot. Von der einstigen Kolonialmacht Sowjetunion zur Baumwollmonokultur umgeformt, fehlt es dem an Rohstoffen reichen Land heute am notwendigen Kapital, um seine Bodenschätze zu nutzen.

Usbekistan, das als Nationalstaat erst seit 1991 existiert, umfasste mit seinen Städten Taschkent, Samarkand, Buchara und Chiwa einst die Perlen an der Seidenstraße. In diesen Zentren mittelalterlicher Handelskultur entstanden gleichzeitg maßgebliche geistige Zentren eines liberalen Islam.

Heute bemüht sich die gesamte zentralasiatische Region, die seit den 1880er-Jahren erst unter russischem, dann unter sowjetischem Einfluss stand, um eine Neudefinition ihrer nationalen Identitäten. Im Zuge dieser Suche kommt es, nicht nur in Usbekistan, seit Jahren zu einer massiven Re-Islamisierung der Gesellschaft. Unter der realen Bedrohung durch islamistische Extremisten – aber auch angesichts ihrer Heilsversprechungen – wenden sich viele Menschen einem konservativ-nationalistischen und modernisierungsfeindlichen Islam zu.

Unter dem Vorwand, Extremismus und Terrorismus bekämpfen zu müssen, unterdrückt die Regierung Karimow kurzerhand jede Art von politischer Aktivität. Die Vereinten Nationen sprechen mittlerweile von einer „katastrophalen Lage der Menschenrechte“ in der Region.

Wirtschaftlich befindet sich das einstige Prachtland der Seidenstraße auf einem heiklen Kurs. Zwar wird die Privatisierung der Staatsbetriebe propagiert. De facto sind aber ausländische Investoren kaum bereit, in einem Klima der Korruption, verschleppter Reformen und gesetzlicher Willkür zu arbeiten.

Die seit Jahren angekündigte Konvertibilität der Währung soll, so optimistische Gerüchte, noch in diesem Jahr erfolgen. Aufgrund der Bereitschaft Usbekistans zur Mithilfe bei der internationalen Terrorbekämpfung in Afghanistan und seiner Bereitstellung von Luftwaffenstützpunkten sicherten Weltbank und IWF erneute Hilfsprogramme zu.

Am eindeutigsten spüren die usbekischen Frauen die Umwälzungen der letzten Jahrzehnte: Mit der Sowjetisierung des Landes in den 1920er-Jahren wurden sie aus ihrer traditionell und religiös verordneten häuslichen Isolation gerissen. Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit 1991 waren allerdings schon vierzig Prozent aller Studierenden an den Hochschulen Usbekistans Frauen. Ihr Anteil in Verwaltung und Wirtschaft des Landes ist folglich heute noch höher als in anderen muslimischen Staaten mit vergleichbarer Einkommenssituation. Der Zusammenbruch des sowjetischen Systems offenbarte allerdings, dass die verordnete Emanzipation nur das Berufsleben, nicht aber die familiären Strukturen verändert hatte.

Im letzten Jahrzehnt, unter dem Einfluss eines Zeitgeistes, der alle als „sowjetisch“ empfundenen Verhältnisse ablehnt, geriet als Erstes die Position und Rolle der Frau in die öffentliche Kritik. Zunehmend propagieren Politiker und Publizisten die Restauration ihrer – im Sinne der Tradition und des Islam – dienenden Rolle als Ehefrau und Mutter.

ADRIENNE WOLTERSDORF