Bei null anfangen müssen

Die Ausstellung „wegZiehen – Der weibliche Blick auf die Migration in der Kunst und Wissenschaft“ demonstriert, dass unzählige Menschen auf der Flucht sind, wie mutig sie sind und welche Strapazen sie auf sich nehmen

Bunte Stoffreste bedecken scheinbar ausgemergelte, gebückte Körper. In Wirklichkeit setzt sich die Karawane aus nichts als diesem Stoff zusammen. Die Installation „Flüchtlinge“ von Helen Escobedo ist Teil der Ausstellung wegZiehen in der Speicherstadt. Irgendwo sind die 61 gesichtslosen Gestalten aufgebrochen; irgendwo wollen sie neu anfangen.

Ganz bewusst habe die Künstlerin darauf verzichtet, einen bestimmten Flüchtlingskonvoi darzustellen, erklärt die Ausstellungsleiterin Gudrun Angelis. In den aus Draht gewickelten Figuren spiegelt sich das Schicksal von Millionen von Leuten wider. „Flüchtlinge aus Afrika haben sich darin genauso wiedererkannt wie Vertriebene im Kosovo“, so Angelis, die Teile der Ausstellung bereits im Frauenmuseum in Bonn zeigte.

23 Künstlerinnen unterschiedlicher Herkunft stellen ihre Installationen, Fotografien, Skulpturen und Malerei zum Thema Migration aus; ergänzt durch Tafeln mit wissenschaftlichen Erläuterungen. „Weltweit sind 80 Prozent der Flüchtlinge Frauen“, berichtet Angelis, „und deshalb ist die Ausstellung in erster Linie dem Schicksal weiblicher Flüchtlinge gewidmet.“

Manche Künstlerinnen waren selber Flüchtende, beispielsweise die Koreanerin Young-Ja Bang-Cho. Ihre Komposition „Reisetaschen“ zeigt mit bedruckten Leinensäcken den Verlauf ihrer eigenen Flucht. Barbara Edelstein setzt sich in ihrem Werk „immigrant leave“ mit der Geschichte der Juden auseinander: Gegenstände, von der Cola-Dose bis zur arabischen Kopfbedeckung, sind mit der Form eines Feigenblatts gekennzeichnet; Steine symbolisieren den von Vertreibung und Flucht gezeichneten Weg der jüdischen Diaspora.

Mit der Emigration von deutschen Frauen in die USA zwischen 1853 und 1983 beschäftigt sich „Welcome to America“ von Carol Hamoys. Sie stickte die Namen etlicher Ausgewanderter auf weiße Kleiderfetzen, um den Mut jener Frauen zu würdigen, die das Land verlassen haben.

wegZiehen beschäftigt sich nicht in erster Linie mit dem Woher und Wohin der Fluchtbewegungen. Der Fokus der Ausstellung liegt auf der inzwischen unleugbaren Tatsache, dass unzählige Menschen, der Großteil von ihnen Frauen, weltweit auf der Flucht sind. Und es entsteht ein Eindruck von den Strapazen, die sie auf sich nehmen, weil sie auf bessere Lebensbedingungen hoffen. HELENE BUBROWSKI

Eröffnung: Do, 19 Uhr, danach Do–Sa 14–19 Uhr, So 11–19 Uhr, Alter Wandrahm 4; bis 22.9.