Keine Entschuldigung für Biowaffenopfer

Ein japanisches Gericht bestätigt erstmals die biologische Kriegsführung der kaiserlichen Armee im Zweiten Weltkrieg in China, sieht aber keinen Grund für eine Entschuldigung oder gar eine Entschädigung der Opfer

TOKIO taz ■ Das Distriktgericht von Tokio hat gestern viele chinesische Kriegsopfer tief enttäuscht. Mit ihrem widersprüchlichen Urteil erkannten die drei Richter zwar erstmals offiziell an, dass Japan einen „grausamen und gewalttätigen“ biologischen Krieg führte (siehe taz vom 26. August). Gleichzeitig sprach das Gericht aber den Hinterbliebenen der Opfer keine Entschädigungen zu und forderte Japans Regierung auch nicht auf, sich bei diesen zu entschuldigen.

In dem Verfahren ging es um den Tod von 2.100 Chinesen in den Provinzen Zhejiang und Hunan zwischen 1940 und 1942. Sie starben durch Cholera-, Typhus- und Milzbranderreger, die Japans Einheit 731 eingesetzt hatte.

„Dieses Urteil ist politisch konservativ und repräsentiert den Widerspruch Japans“, sagte Wang Xuan, eine Hinterbliebene aus der Provinz Zhejiang. Sie hatte jahrelang Beweise über Japans biologische Kriegsführung im Zweiten Weltkrieg zusammengetragen. Tsuchiya Kohken, der Leiter der Anwaltsgruppe, die zusammen mit dem Menschenrechtsanwalt Keiichiro Ichinose die 180 chinesischen Kläger vertrat, bewertete das Urteil etwas positiver. So sei die Tatsache der biologischen Kriegsführung und der brutalen Menschenversuche in Nordchina durch die Einheit 731 auf zehn Seiten der Urteilsbegründung anerkannt worden. „Dies kann nicht mehr rückgängig gemacht werden, und von nun an kann auch kein Politiker diese Fakten mehr leugnen“, erklärte Tsuchiya.

Die Kläger und ihre Anwälte erklärten sofort nach der Urteilsverkündung, dass sie Berufung einlegen werden und wenn nötig bis vor das Oberste Gericht ziehen wollen. „Diesmal habe ich gekämpft. Sterbe ich, wird mein Sohn und nach ihm mein Enkel weiterkämpfen für Gerechtigkeit“, erklärte Xu Wanzhi, ein 62-jähriger Bauer aus der Kleinstadt Changde in der Provinz Hunan. Er war als Vertreter von 61 Opfern aus seinem Dorf selbst nach Tokio gereist. Die chinesischen Kläger hatten von Japan eine Entschädigung von umgerechnet je 85.000 Euro gefordert. Ihre Enttäuschung war noch größer, weil sie im Prozess, der in 27 Anhörungen seit 1997 lief, oft geglaubt hatten, dass die Richter ehrliches Verständnis für ihr Anliegen hätten. „Nach diesem Urteil kam es mir vor, als ob die Richter mit uns nur ein Spiel betrieben und uns überhaupt nie ernst genommen hätten“, sagte Chen Zhifa (71), der in seinem Dorf Yiwu in der Provinz Zhejiang selbst einen Feldversuch mit Beulenpest der japanischen Armee überlebt hatte. Sein älterer Bruder und der Vater waren indes umgekommen.

Das Distriktgericht wies die Entschädigungsforderung gemäß einem alten Muster in früheren Prozessen ab. Der Vorsitzende Richter Koji Iwate argumentierte mit der Haager Konvention, dem San-Francisco-Friedensabkommen von 1951 und bilateralen Friedensverträgen mit der Volksrepublik China (1972), nach denen Individuen keine Schadenersatzforderungen an den japanischen Staat mehr stellen können. Und eine Entschuldigung der heutigen Regierung sei nicht angebracht, weil sie für die Gräueltaten der kaiserlichen Armee nicht zur Verantwortung gezogen werden könne.

ANDRÉ KUNZ