Deutsche Einheit

Gelesen und gegessen wird, was auf den Tisch kommt: Ein literarisches Bankett im Theater Artenschutz

Trotz des Fernsehduells Schröder gegen Stäuber sind immerhin 50 Gäste in das Theater Artenschutz gekommen, einem schlichten, rund gewölbten weißen Raum unter dem S-Bahnhof Bellevue. Das ist erstaunlich, doch man weiß hier auch: „Die Wiederholung der Sendung läuft um 23 Uhr auf ntv“, sagt eine Dame am Tisch. Die Kultur siegte hier am Sonntagabend zumindest temporär gegen die hohe Politik. Zumal, wenn es bei der Kultur auch noch was zu essen gibt. Oder besser gesagt, wenn Lesung, Gesang und Essen irgendwie eine Einheit bilden sollen. Nach dem Motto des „Literarischen Banketts“: Gelesen wird, was auf den Tisch kommt.

Gelesen wurde aus dem Roman „Bittersüße Schokolade“ der Mexikanerin Laura Esquivel, der 1992 von Alfonso Arau verfilmt wurde. Dazu lateinamerikanische Lieder. Was wiederum einen Hinweis auf die Herkunft der Gerichte liefert. Schokolade war es nicht. Aber lecker. Obwohl man oft wirklich nicht so genau wusste, was man nun aufgetischt bekam. Auf der Speisekarte stand etwa: „Pomodoro – Rafano“, was mit „Roter Nachtschatten – weißer Kreutzblütler, Brot und Basilikumpesto“ erklärt wurde, oder „Higo – Arroz“ , das sind „Früchte des Hermes – Wassergrasfrüchte, Chutney“. Aha. Die meisten Gäste schauten daher vor jedem Gang interessiert auf die Karte, in der Hoffnung, die Zutaten zu entschlüsseln. Gegessen haben es dann aber alle. Zur Unterstützung der Verdauung trug Holger Franke, Schauspieler, Autor und Regiseur vom Theater „Rote Grütze“, verschiedene Passagen aus dem tragischen Liebesroman vor – barfuß an einem kleinen Holztisch auf der Bühne.

Dabei ging es immer um Essen. Und um die Liebe. Auch die körperliche natürlich. Als die Liebende Tita einmal den „entflammten Holzscheid“ ihres tragisch Geliebten Pedro gewahr wurde, raunte das wissende Publikum kurz „ohhoho“. Und Franke seinerseits schmachtete nicht nur einmal seine Kollegin und Sängerin Viola Gabor an, die mit Gitarre oder einer Art Naturtamborin wirklich gefühlvoll Liebeslieder auf Spanisch vortrug.

Der ganze Abend dauerte etwa dreieinhalb Stunden und endete mit einem angemessenen Applaus. Das nächste Bankett findet am Abend der Bundestagswahl, am 22. September, statt. Es werden dann drei Fernseher aufgestellt sein. Zu essen wird es Gerichte aus allen Epochen der verschiedenen Bundeskanzler der BRD und der Staatsratsvorsitzenden der DDR geben. Hoffentlich wird Kohl ausgelassen. Sonst gibt’s Saumagen. JÖRG PETRASCH