Der Schatten des Doppelgängers

Zwischem künstlerischem Aufschwung und materiellem Desaster: Beim Tanz im August stellten sich junge Choreografen aus Bukarest vor

Das Parlamentsgebäude in Bukarest ist das größte Bauwerk der Welt, sagt der Tanzkurator Cosmin Manolescu. Selbst das Pentagon in Washington sei kleiner. 1985 wurde mit dem Mammutbau, der ein fünfmal so großes Territorium wie der Potsdamer Platz umfasst, begonnen, und die Arbeiten sind noch nicht beendet. „Ceaușescu kam damals von einer Reise nach Nordkorea zurück, wo er etwas Ähnliches gesehen haben muss“, erinnert sich Manolescu, „und das wollte er auch haben, nur noch größer.“

Nicolae Ceaușescu, der Diktator des sozialistischen Rumäniens, regierte Jahrzehnte und wurde 1989 von den eigenen Securitate-Leuten erschossen. Das Bukarester Parlamentsgebäude hingegen hat den Zusammenbruch des Ostblocks überlebt. Heute sitzen dort die Repräsentanten der neuen politischen Ordnung. Was sie wollen, ist ein Museum für moderne Kunst, was sie nicht wollen, ist zeitgenössischer Tanz. „In Rumänien“, so Manolescu, „wird Tanz weder als Kunstform anerkannt noch gefördert. An unabhängigen Tanzproduktionen hat niemand im Ministerium Interesse, also gibt es auch kein Geld.“ Der Tanzkurator, der beim hiesigen „Tanz im August“ mit einer großen Videoschau die Bukarester Tanzszene vorstellte, bezweifelt den Verstand der Regierungsvertreter in allen Dingen der Kunst. Dennoch gibt der 32 Jahre alte Mann nicht auf, im Gegenteil, er redet von Optimismus, der zum Überleben wichtig sei, auch in den irrwitzigsten Situationen.

Manolescu gründete vor sechs Jahren seinen eigenen Verband, die „DCM Project Cultural Foundation“. Dank DCM, die wie eine unabhängige Netzwerkagentur arbeitet, bekam der junge Tanz in Rumänien, der sich aufgrund der politischen Vergangenheit des Landes kaum auf moderne Traditionen berufen kann, einen enormen Aufschwung: Man gab der plötzlich aufbrechenden Tanzszene eine Organisationsstruktur und öffnete sich zugleich dem Ausland, man kooperierte weltweit mit Förderern, organisierte nationale und internationale Tanzfestivals mit Performances und Trainingsworkshops und verschaffte Tänzern und Choreografen Auslandsaufenthalte. Manolescu gelingt es trotz der finanziellen Unsicherheiten, seit 1997 jährlich Festivals in Rumänien zu realisieren, mit der Unterstützung ausländischer Kulturinstitutionen wie dem Centre Culturel Français, dem British Council und er schweizer Stiftung Pro Helvetia.

Der Tänzer und Choreograf absolvierte 1988 das staatliche Tanzlyzeum in Bukarest, tanzte 1990 bei dem staatlichen Ensemble „Orion Ballett“ und studierte anschließend Choreografie. Gemeinsam mit Irina Costea, Florin Fieroiu und Mihai Mihalcea gründete er 1992 „Marginalii“, die erste unabhängige Tanzkompanie Rumäniens, und 1996 „DCM Project“. Der widersprüchlichen Situation des rumänischen Tanzes, die sich zwischen kreativem Aufbruch und materiellem Desaster spannt, ist er sich bewußt. „Viele Stars, die früher in Russland ausgebildet wurden, sind ins Ausland gegangen, weil sie dort Angebote bekommen haben und besser leben können. Auch viele junge Choreografen wollen weg.“ Er will, dass sie bleiben.

Beim „Tanz im August“ stellten sich die Rumänen nicht nur per Video vor. Mihai Mihalcea, Manuel Pelmus und Eduard Gabia zeigten Soli. Mihalcea versuchte in „Memory for sale“, mit Versatzstücken aus der Kindheit, wie den Schuhen seiner Mutter und Erinnerungen an indische Filme, eine Bewegungssprache sichtbar zu machen, die Abstraktion und Realität gleichermaßen verläßt. Man sieht jedoch angestrengt verlangsamte Bewegungen, die zwar Intensität herstellen, aber auch ins Manieristische kippen. Weniger in die schöne Form verliebt ist Manuel Pelmus. In „Outcome“ lässt er den Tänzer (Eduard Gabia), an dessen Hinterkopf zwei diagonal durch den Raum gespannte Seile befestigt sind, mit Gewichten in den Händen hin- und herschwingen. Dazu läuft monotone Musik, viel passiert nicht. Das Fehlen des schön bewegten Körpers auf der Bühne, der den Zuschauer unterhalten soll, irritiert, und die symbolgeladene Szenografie (weißes Lichtkreuz unter den Füßen des Tänzers, Schatten eines Doppelgängers im Hintergrund) verstärkt dieses Gefühl. Da kommt einem wieder das hässliche Haus in Bukarest in den Sinn.

JANA SITTNICK