Traumaverarbeitung und Integrationshilfe

Der im Herbst 1992 gegründete Rostocker Verein „Dien Hong“ kümmert sich inzwischen nicht nur um die Belange ehemaliger Vertragsarbeiter aus Vietnam, sondern fördert die Integration auch anderer Einwanderergruppen

ROSTOCK taz ■ Aus dem Sonnenblumenhaus ausgezogen ist der Verein „Dien Hong – Gemeinsam unter einem Dach“ erst vor drei Jahren. Vom Plattenbau in Lichtenhagen ins Zentrum, leichter zu erreichen für alle, „für die Mehrheitsgesellschaft und Migranten nicht nur aus Rostock“, beschreibt der ehrenamtliche Geschäftsführer Michael Hugo die neuen Räume inmitten eines Bürolabyrinths von sozialen Trägern aller Couleur.

In der offenen Begegnungsstätte finden neben einem regelmäßigen Mädchen- und Frauentreff sowie Kinder- und Jugendarbeit Hausaufgabenhilfe für vietnamesische Schulanfänger, aber auch ein Lateinamerikanischer-Tanz- und ein Malkurs statt. Der Arbeitsschwerpunkt von Dien Hong liegt jedoch auf der beruflichen Integration von Immigranten. Seit 1997 richten sich Angebote wie etwa berufsspezifische Sprachkurse oder individuelle Arbeitsplatzvermittlung nicht mehr nur an Vietnamesen, sondern auch an Russlanddeutsche oder jüdische Zuwanderer aus den GUS-Staaten.

Als Dien Hong im Oktober 1992 entstand, waren unter den 67 Gründern vor allem ehemalige Vertragsarbeiter aus Vietnam, sagt Nguyen Do Thinh. Viele der ersten Mitglieder hatten die Pogromtage hautnah miterlebt. Doch Zeit, das Trauma der Brandnächte zu verarbeiten, habe es damals nicht gegeben, erinnert sich der heute 40-jährige Vereinsvorsitzende.

Soziale Ausgrenzung, Arbeitslosigkeit und drohende Abschiebungen nach Vietnam standen im Vordergrund. „Wir brauchten dringend eine starke Interessenvertretung“, sagt Nguyen Do Thinh und erinnert daran, dass zwei Jahre nach der Wende gerade noch 400 vietnamesische Vertragsarbeiter von vorher rund 2.000 in Rostock lebten.

Zu den Erfolgen zählt für den Verein denn auch, dass es gemeinsam mit anderen Initiativen gelang, das im Einigungsvertrag ausgesparte Aufenthaltsrecht für DDR-Vertragsarbeitnehmer durchzusetzen. 1997 erhielten einige tausend Männer und Frauen aus Vietnam, Kuba und anderen ehemaligen sozialistischen Bruderstaaten analog zu den bundesdeutschen „Gastarbeitern“ eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.

Heute leben in Rostock „genau 812 Vietnamesen“, sagt Nguyen Do Thinh. Geblieben sind bis auf ein halbes Dutzend auch alle 120 vietnamesischen Männer, Frauen und Kinder, die nur knapp dem Flammentod im Sonnenblumenhaus entkommen waren.

Die Auszeichnungen, die der Verein im Laufe der Jahre erhalten hat, die finanzielle Förderung durch die Stadt oder die EU, aber auch die Besuche von Rostocks Bürgermeister Arno Pöker (SPD) und die Polizeisonderkommission, die nach den jüngsten Anschlägen auf vietnamesische Imbisse und das Sonnenblumenhaus vor einem Monat eingesetzt wurde, seien „Gesten, die sowohl von denen, die das Pogrom im Haus erlebt haben, als auch von denen, die Beifall geklatscht haben, wahrgenommen werden“, sagt Michael Hugo und fügt einen Satz hinzu, den er in diesen Tagen schon oft gesagt hat: „Die Unterstützung der Stadt für Dien Hong spiegelt eine offensive Bearbeitung des Traumas von Lichtenhagen wider.“

Nguyen Do Thinh unterscheidet zwischen dem Trauma und der Integration der Betroffenen. Ihn beunruhigt derzeit der zunehmende Rückzug seiner Landsleute in die eigene Community. Und die persönliche Verarbeitung der Brandnächte? Jahrelang stand für ihn die Arbeit bei Dien Hong im Vordergrund. Doch seitdem er als Nebenkläger im letzten Prozess gegen drei der Angreifer im Schweriner Landgericht auftrat, sind die Brandnächte wieder präsent. Dass die Täter verurteilt wurden, sei zwar ein Erfolg, sagt Nguyen Do Thinh. Doch zu einer Aufarbeitung gehört für ihn mehr: „Die Frage der politischen Verantwortung endlich zu beantworten.“ HEIKE KLEFFNER