Ansichtskarten des Grauens

Jahrzehntelang nahm die Welt von den Verbrechen auf der Insel keine Notiz. Nun dokumentiert amnesty international die Geschichte Osttimors bis zur Unabhängigkeit mit einer Fotoausstellung

von ANETT KELLER

Gleißendes Licht bricht durch schwarze Wolken. Darunter Berge, davor das Meer, auf dem ein kleines Boot schwimmt. Es könnte das Erinnerungsfoto eines romantischen Tropenurlaubers sein, das da im Foyer des Hauses der Kulturen der Welt hängt. Daneben, etwas verschwommen, ein rennender Junge am Strand. Ein nächstes Bild zeigt eine Gruppe Männer in bunten Wickelröcken mit roten Tüchern auf dem Kopf. Sie trommeln, einer schwenkt die Fahne des neuen Staates Timor Loro Sae.

„Osttimors Weg in die Zukunft“ ist das Motto der Ausstellung, die amnesty international gemeinsam mit dem Haus der Kulturen der Welt initiierte. Die Dokumentation der Arbeiten von neun osttimoresischen und einem australischer Fotoreporter „soll ein kleiner Beitrag sein, um die schwierige, blutige Geschichte Osttimors aufzuarbeiten“, so die Initiatoren von amnesty international.

Aus jahrhundertelangem Dasein als portugiesische Kolonie wurde die Inselhäfte Osttimor 1975 entlassen – und wurde unverzüglich vom Nachbarland Indonesien okkupiert. Fast ein Drittel der 800.000 Bewohner kamen in den folgenden zwei Jahrzehnten um. Die internationale Öffentlichkeit nahm kaum Notiz. Nachdem 1975 fünf Journalisten umgebracht wurden, die die indonesische Invasion dokumentierten, gab es ein Blackout in den internationalen Medien. Über die Gräueltaten des Militärs aus Jakarta, das vor Ort proindonesische Milizen aufbaute, gab es so gut wie keine Bilder. Nicht von den Massenverhaftungen der Freiheitskämpfer, nicht von Zwangssterilisierungen osttimoresischer Frauen, nicht von Vertreibung, Folter und Mord.

Ein Ölteppich in der Timor-See und ertragreiche Rüstungsgeschäfte mit Indonesien zählten für amerikanische, australische und auch deutsche Regierungen mehr als das Schicksal eines kleinen Inselvolkes.

1999, nach dem sich die Osttimoresen in einem Referendum für die Unabhängigkeit ausgesprochen hatten, drehte sich die Gewaltspirale auf einen letzten grausamen Höhepunkt. In wenigen Tagen fielen über 1.000 Menschen der Rache der Milizen zum Opfer. Hunderttausende flüchteten oder wurden nach Westtimor vertrieben. 90 Prozent der Häuser und 70 Prozent der Schulen wurden zerstört.

Dass in Osttimor in jenen Tagen kein Stein mehr auf dem anderen blieb, hat der Australier Ross Bird für das Time-Magazine dokumentiert. Einen Teil seiner 1999 aufgenommenen Bilder stellte er amnesty zur Verfügung. Abgebrannte Häuser, Trümmerfrauen, Kinder in ihrem ausgebrannten Schulgebäude sind dort zu sehen. Durch den Eingang eines völlig zerstörten Gebäudes fällt der Blick des Betrachters auf eine Madonnenstatue, das Einzige, was im Haus heil geblieben ist. Sie reckt die Arme empor, ein Symbol für tausende ungehörte Schreie nach Gnade.

Birds Fotografien zeigen die Vergangenheit, dokumentieren die traumatischen Erfahrungen, die das Land überschatten. Sie bilden einen starken, erschreckenden Kontrast zu dem, was seine Kollegen aus Osttimor mit der Kamera einfingen. Den heutigen Alltag, ein vorsichtiges Aufrappeln und ein winziges Stück Hoffnung.

Hoffnung darauf, dass die Bewohner des jüngsten und zugleich eines der ärmsten Staaten der Welt zur Ruhe und zu bescheidenem Wohlstand kommen. „Ich möchte euch einladen“, sagt der Fotograf Antonio Goncalves aus der Hauptstadt Dili, „das Schicksal meines Volkes zu sehen und zu beachten. Gebt ihnen die Unabhängigkeit, für die sie so lange gekämpft haben. Lasst sie nicht weiter von Müll leben.“

Die Hoffnung auf Gerechtigkeit ist für viele Osttimoresen schon begraben. Eine UN-Kommission hatte gefordert, ein internationales Straftribunal einzusetzen, wenn Indonesien nicht binnen weniger Monate die Täter vor Gericht bringen würde. Sechs Verantwortliche der Massaker von 1999 wurden in der vergangenen Woche vom so genannten Menschenrechtstribunal in Jakarta freigesprochen.

„Osttimors Weg in die Zukunft“, Ausstellung bis 1. September, Di.–So. 10 bis 20 Uhr, Eintritt frei, Gesprächsrunde zum Thema Straflosigkeit am 31. August, 16 Uhr, Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10. Weitere Informationen im Internet: www.hkw.de und www.amnesty-bb.de