Altstadt in der Elbe

In Hitzacker zwischen Elbe und Jeetzel fahren Boote und laufen Gummistiefel. Auf dem anderen Ufer in Dömitz und Amt Neuhaus wird evakuiert. Doch die Menschen lassen sich nicht einfach wegholen

Gestern nacht hat Manni noch gegrillt. „Was soll‘s denn“, ist seine Devise, „alles ist eine Erfahrung.“

von SANDRA WILSDORF

Es kommt bei Nacht und bei Tag, es kommt auch bei strahlendem Sonnenschein und Hitze, die sich nach Trockenheit anfühlt: Das Wasser greift nach Hitzacker. Von vorne drückt die Elbe in die Altstadt, von unten blubbert stinkendes Grundwasser auf den Marktplatz, von den Seiten drängt sich die Jeetzel in die Straßen. Eine Kleingartensiedlung ist schon in ihr ertrunken: Blumen, die man als meterhoch kennt, kommen als Seerosen daher, wo Straßenschilder den Autoverkehr regeln, fahren nur noch Boote und gehen nur noch Gummistiefel.

Seit Anfang der Woche haben die Menschen auf ihrer Altstadtinsel zwischen dem Strom und dem Nebenfluss die Welle kommen sehen: Sie haben das Unterste nach oben getragen, Sandsäcke vor Kellerfenster und Türen gestapelt und gehofft, dass es doch nicht so schlimm kommt. Bei einigen ist das Zusammenhalten aber auch ein Abgrenzen. Denn „weil die da drüben die Deiche immer höher machen, saufen wir hier ab“, klagt eine Frau. Hitzacker hat keinen Deich, „sonst würde es ja nicht Hitzacker an der Elbe heißen, sondern Hitzacker hinterm Deich“, sagt Manni, von dem hier jeder weiß, dass er gut mauern kann. Seit Tagen hat er unzählige Türen wassersicher gemacht, von Wohnhäusern, von der Kirche, vom Gemeindehaus. Dienstagnacht hat er mit vielen anderen bis 2.30 Uhr Sandsäcke gestapelt. Und dann haben sie noch vor der „Insel“ gegrillt und Bier getrunken. „Was soll‘s denn“, ist Mannis Devise, „alles ist eine Erfahrung.“ Er hat noch zehn Zentimeter, bis es in sein Haus schwappt.

Ein Mann hat gerade seine Familie rausgepaddelt, und auch vor dem Café Knigge liegen schon die Kanus. Der Zeitungsladen hat noch auf. Die Inhaberin aber ist völlig verzweifelt. „Eigentlich hätten wir auch schon zugemauert werden sollen, aber das können wir uns gar nicht leisten“, sagt sie. Doch das Geschäft läuft schlecht: Touristen sagen ab, und die Leute, die da sind, haben anderes zu tun. „Ich musste schon die Putzfrau und unsere Angestellte nach Hause schicken“, sagt sie. Und dabei müssten sie sowieso schon „Service hoch drei“ bieten, seitdem in Hitzacker auch die Supermärkte Zeitungen verkaufen.

Die einzige Bäckerei in der Altstadt hat einen Holzzaun vor der Tür, wer den überwindet, bekommt Brot und Brötchen. Die wurden gebacken, bevor um 6 Uhr der Strom abgestellt wurde. „Wir wollen aushalten, so lange es geht und die Insulaner unterstützen“, sagt die Bäckersfrau.

Denn daran, dass die meisten bleiben wollen, lassen sie keinen Zweifel. Schon Dienstag haben Rettungskräfte jeden gefragt, wohin er im Falle einer Evakuierung gehen würde. Viele haben einfach irgendwas gesagt, „damit die nicht die Tür aufbrechen“. Auch Annelotte und Erwin Meyer wollen bleiben: „Kaffee kochen wir mit unserem Spirituskocher“, sagt sie. Weggehen und nicht wissen, was mit dem Zuhause passiert, das ist schlimmer, als zu Hause mit Wasser und ohne Strom.

Auf der anderen Elbseite in Dömitz und im Amt Neuhaus ist die Evakuierung längst angelaufen. Gestern früh hatten sie alle einen Zettel an der Tür: „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger“ wurden darin aufgefordert, ihre Orte zu verlassen. Wer das nicht selbständig könne, sollte sich zu bestimmten Zeiten an den angegebenen Treffpunkten einfinden. In Dömitz waren gestern morgen um 8 Uhr etwa 50 der über 2000 Einwohner auf dem Pausenhof der Schule. 400 Menschen haben die Stadt zwischen Elbe und Elde verlassen. Die anderen glauben, dass es schon nicht so schlimm kommt. „Die haben uns 40 Jahre eingesperrt, da wird uns doch so ein bisschen Wasser nicht in die Flucht schlagen“, sagt ein Dömitzer. Gegen Abend, hat einer gehört, soll der Strom abgestellt werden. „Das sind ja sozialistische Erziehungsmethoden“, sagt einer.

In Vielank, zehn Kilometer von der Elbe entfernt, soll ein Bus die Menschen evakuieren. Doch als der um 12 Uhr an dem Platz zwischen Straße der Jugend und Straße der Freundschaft hält, will keiner einsteigen. Die Menschen haben Notfalltaschen gepackt, die Autos stehen bereit. Aber so recht glaubt hier keiner, dass das Wasser sich so weit aus seinem Bett entfernt. Polizisten patroullieren und erklären den Leuten die Lage: Im Notfall kommen sie noch einmal vorbei und läuten die Sirenen. Wer dann nicht mit will, muss unter-schreiben, dass er auf eigene Ver-antwortung bleibt. Muss er am Ende doch noch gerettet werden, geht das auf seine Kosten. Das überzeugt. „Naja, die paar Tage, das ist doch keine 10.000 Euro wert.“ Ein Mann steigt in sein Auto: „Frohe Flut“, wünscht er und „bis irgendwann“.