Iraks Botschaft in Berlin besetzt

„Demokratische Irakische Opposition“ ist bei anderen Regimegegnern unbekannt. Vor zwei Wochen traf sich die Gruppe an Berliner Uni und forderte „Tod dem Diktator“

BERLIN taz ■ Auch mehrere Stunden nach der Besetzung der irakischen Botschaft in Berlin-Zehlendorf war gestern Abend noch unklar, was sich genau ereignet hat. Nach Angaben der Polizei handele sich möglicherweise um zehn bis zwölf Geiselnehmer. Sie seien in die Räume der Botschaft eingedrungen und hätten das Botschaftspersonal mit Waffen bedroht. Dabei sei eine Person mit Reizgas leicht verletzt worden. Die Polizei ging von weniger als zehn Geiseln aus. Anwohner berichteten, sie hätten Schüsse gehört. Das Botschaftsgebäude wurde von der Polizei weiträumig abgeriegelt. Für eine Erstürmung ist wegen der Exterritorialität der Botschaft die Zustimmung irakischer Behörden notwendig. Ein Polizeisprecher sagte: „Wir warten auf das OK, das Gelände betreten zu dürfen.“ Kontakt zu den Personen in der Botschaft habe man nicht.

In einem Fax teilte eine Gruppe namens „Demokratische Irakische Opposition Deutschlands“ (DIOD) mit: „Wir übernehmen die irakische Botschaft und somit den ersten Schritt in Richtung Befreiung unseres geliebten Vaterlandes.“ Die Aktion sei friedlich und zeitlich begrenzt.

Ein Sprecher der DIOD erklärte gegenüber taz, die Gruppe sei beim Eindringen in die Botschaft beschossen worden. Er bestritt, dass es eine Geiselnahme und Verletzte gegegeben habe. Lediglich zwei Deutsche, die sich zum Zeitpunkt der Besetzung im Gebäude befunden hätten, könnten möglicherweise einen Schock erlitten haben. Sie hätten das Gebäude aber verlassen können.

Der oppositionelle Irakische Nationalkongress INC distanzierte sich von den Besetzern. Der INC bekämpfe die irakische Führung im Innern Iraks, nicht im Ausland, sagte ein INC-Sprecher. Nach seinen Angaben handelt es sich bei den Eindringlingen um eine neue Gruppe.

Auch nach Darstellung irakischer Oppositioneller in Deutschland geht die Aktion vermutlich auf das Konto einer „verzweifelten Splittergruppe“. Nach Angaben von Hans Branscheidt von der „Koalition für einen demokratischen Irak“ stehen eventuell frühere Mitglieder der Baath-Partei sunnitischer Herkunft dahinter. Diese seien bei den bisherigen Verhandlungen über einen Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein nicht berücksichtigt worden.

Bis gestern konnten auch die deutschen Behörden und Flüchtlingsorganisationen keine Auskunft geben zur „Demokratischen Irakischen Opposition Deutschlands“.

Vor gut zwei Wochen hatten sich etwa 50 Vertreter der Gruppe in der Berliner Humboldt-Universität getroffen und „Tod dem Diktator“ gefordert. Nach Angaben ihres Sprechers arbeiteten sie an einer Klage gegen Hussein vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. „Die USA sehen nur die Waffen Husseins, nicht das Terrorregime gegen 20 Millionen Menschen“, sagte der Sprecher damals der taz. Wie viele Anhänger die Gruppe hat, wollte er nicht verraten: „Genug, um uns einen Wechsel zutrauen zu können“, sagte er.

Bei der Veranstaltung wurde eine Zeitung des Iraq National Accord (INA) verteilt, der auch bei den Gesprächen mit der US-Regierung in Washington dabei war. Für die DIOD seien die USA allerdings als „Besatzungsmacht“ „nicht akzeptabel“.

Die 50 Versammmelten waren westlich gekleidet. Bei dem Treffen wurde arabisch gesprochen. Der Sprecher, der fließend Deutsch sprach, stellte einige Teilnehmer als Ärzte vor. Bei der Versammlung herrschte keine aggressive oder fanatische Stimmung. Es hatte eher den Anschein eines Arbeitstreffens, bei dem konzentriert gearbeitet wurde. Nur aus einer Stereoanlage schepperte sehr laute arabische Musik, laut Sprecher alte irakische Volkslieder.

S. SEDLMAYR/L. WALLRAFF