Die frühen Fehler des besseren Deutschland

Der Historiker Hermann Weber schildert seinen Weg vom „gläubigen Kommunisten“ zum „kritischen Sozialisten“. Seine Autobiografie berichtet dabei nicht nur von seinem Leben, sondern gewährt auch faktenreiche Einblicke in die Kaderschmiede der DDR, die Parteihochschule „Karl Marx“

Weber macht keinen Hehl daraus: er brach mit der KPD erst, als er eine Alternative besaß

„Damals als ich Wunderlich hieß“ ist ein minutiöser und mit vielen bislang unbekannten Details gespickter Bericht über die Entstehung der zentralen Parteihochschule „Karl Marx“ der SED. Der bedeutendste Kommunismusforscher der SPD, Hermann Weber – damals 19 Jahre alt –, und seine spätere Frau Gerda gehörten mit zu den ersten Studenten („Kursanten“) der Einrichtung. Sie wollten und sollten damals Nachwuchskader der KPD bzw. SED werden. Später brachen sie mit der Partei. Das Buch ist deshalb gleichzeitig eine biografische Rückschau und Bilanz.

Hermann Weber war von der KPD Mannheim delegiert worden, er erhielt den Decknamen „Wunderlich“. Seine sozialdemokratisch sozialisierte Frau Gerda wurde von der SED Perleberg in Brandenburg ausgesucht. Zu den Studenten gehörte auch Herbert Mies, der spätere DKP-Vorsitzende. Weber hatte sich mit ihm zusammen der Werbung für die SS entzogen. Beide mussten deshalb eine vor 1945 begonnene Lehrerausbildung beenden.

Wie in einem Brennglas zeichneten sich an der Parteihochschule von 1947 bis 1949 bereits die entscheidenden Fehler des deutschen Nachkriegskommunismus ab. Das anfänglich offene Klima – zu den Dozenten gehörten auch ehemalige Mitglieder der KP(O) – wurde von einer Atmosphäre der Überwachung und prophylaktischen Unterwerfung abgelöst; dem hoffnungsvollen Neuanfang folgte rasch die Herausbildung einer stalinistischen Partei „neuen Typs“. Diese Erfahrungen legten bei Weber den Grundstein für eine Wandlung vom „gläubigen Kommunisten“ zum „desillusionierten und suchenden Sozialisten“. Seine Jugend in einem kommunistischen Elternhaus, die Verhaftung des Vaters während der Nazizeit, die Ausbildung des idealistischen Jungkommunisten zum Nachwuchskader und der spätere Bruch mit dem Stalinismus haben ihn geprägt und persönlich dazu gebracht, zahlreiche Standardwerke zur Geschichte der KPD, der DDR, Lenins, der stalinistischen Parteisäuberungen und den weißen Flecken in der Geschichte der KPD zu schreiben.

Seine Bücher zeichnen sich dadurch aus, dass er den Kommunismus als soziale Bewegung beschreibt, die immer Teil des Protestes gegen die Verwerfungen des Kapitalismus ist – den Apparat des totalitären Stalinismus jedoch unterscheidet Weber davon. Mit dem giftigen, konservativen und antidemokratischen Stil des Antikommunismus der frühen Bundesrepublik konnte er deshalb genauso wenig anfangen wie mit einer Linken, die den Stalinismus nicht wahrhaben wollte und häufig sogar beschönigte.

Schon in der Bibliothek der Parteihochschule „Karl Marx“ hatte Weber ein Exemplar der Protokolle von Stalins Schauprozessen in Händen gehalten. Groß geworden jedoch in dem Bewusstsein einer lebendigen antifaschistischen Würde, brach er mit der Partei erst, als sie sich am 17. Juni 1953 offen gegen die Arbeiter wandte.

Den Bruch zögerte er auch deshalb hinaus, da er als Kulturredakteur der FDJ in der frühen Bundesrepublik selbst verfolgt wurde. 1953 wurden Weber und seine Frau verhaftet und wegen „Hochverrat, Geheimbündelei und Rädelsführerschaft“ in Untersuchungshaft gehalten, jedoch ohne Prozess wieder entlassen. Nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis nahmen sie dann kein Blatt mehr vor den Mund. Hatte die KPD-Zeitung Badisches Volksecho noch im Juli 1953 die Freilassung der „Friedenskämpfer“ Weber gefordert, so wurden sie in derselben Zeitung bereits im September 1954 zu Agenten erklärt und als Feinde der KPD „entlarvt“.

Weber macht keinen Hehl daraus, dass sein Bruch mit der KPD auch deshalb lange dauerte, da er erst einmal keine berufliche Alternative besaß. „Ich hatte kein Abitur, hatte keinen Beruf gelernt, musste also ganz von vorn anfangen.“ Nach dem Parteiausschluss musste er beginnen, sich seine Karriere in der Wissenschaft mühsam zu erarbeiten. Der Autor schont sich zudem bei der Selbstkritik nicht: Dort wo es Erinnerung und Dokumente hergeben, schildert er minutiös seine Übereinstimmung, Unterwerfung oder seinen zögernden Protest gegenüber der SED- bzw. KPD-Politik.

Leider jedoch verfolgt er eine wesentliche, von ihm selbst in diesem Buch gelegte Spur, die letztlich auch an seiner eigenen Biografie in Umrissen sichtbar wird, nicht weiter. Es ist die Spur der Gründer- und Führergeneration der westdeutschen KPD und ostdeutschen SED nach dem Nationalsozialismus. Zwar ist Webers Buch randvoll mit lexikalischen Informationen zu einzelnen Dozenten und Studenten der ehemaligen Parteihochschule, er erlaubt sich jedoch viel zu selten eine über die datengesättigte Information hinausgehende Schilderung der Personen, ihrer Geschichten und politischen Lernprozesse. Er drängt seine persönliche Erinnerung und seine Erzählerqualitäten zu Gunsten der professionellen Darstellung des Historikers zurück. Und so blitzt eher zwischen den Zeilen durch, was bis heute ein großes Desiderat der Forschung über kommunistische Regime und Bewegungen nach der NS-Zeit ist: der deutsche Kommunismus hatte nicht nur den Stalinismus im Gepäck, sondern natürlich auch den gerade erst untergegangenen Nationalsozialismus.

Die oft nur knappen Schilderungen der Lebensbiografien kommunistischer Kader verweisen auf die vielen verschiedenen Gründe, die es nach dem Nationalsozialismus geben konnte, KPD, SED und DDR als die Vertretung eines besseren und anderen Deutschland anzusehen. Ein Irrtum. Hermann Weber beschreibt ihn sehr akribisch, professionell, aber leider auch sehr verhalten. MARTIN JANDER

Hermann Weber: „Damals als ich Wunderlich hieß. Vom Parteihochschüler zum kritischen Sozialisten“, 445 Seiten, Aufbau-Verlag, Berlin 2002, 25 €ĽWebers Gesamtdarstellung der DDR-Geschichte gibt es als Taschenbuch:Hermann Weber: „Geschichte der DDR“, 544 Seiten, dtv, München 1999, 15 €