Deutscher Frühling

Neue Deutsche Welle. Vom damaligen Sounds-Autor und späteren Indie-Label-Besitzer Alfred Hilsberg (ZickZack, What’s so funny about) 1978 erfundener, von ihm selbst aber schnell abgelegter Oberbegriff für all jene Bands, die damals mit deutschen Texten, subversiver Absicht und dilettantischer Technik eine deutsche Variante von Punk und New Wave kreierten. 2001 erschien mit Jürgen Teipels „Verschwende deine Jugend“ (Suhrkamp, 375 Seiten, 12,50 Euro) ein immens materialreicher „Dokuroman über den deutschen Punk und New Wave“, in dem die Protagonisten die Bilanz der Jahre 1976 bis 1983 ziehen. Kleine Kritik am viel bejubelten Buch: Statt Schauspieler und Punkzaungast Ben Becker hätte vor allem Wolfgang Müller mehr Platz in diesem Kompendium gebührt.

Frl. Menke, 41, eigentlich und heute auch wieder: Franziska Menke, hatte vor ihrem Durchbruch mit dem NDW-Hit „Hohe Berge“ (1982) bereits eine Single mit Schlagern aufgenommen. Ihr Markenzeichen war das Singen aus ironischer, pseudonaiver Perspektive unter gleichzeitiger Beibehaltung der überkommenen Schlagerästhetik. In Menke-Liedern gab es niemals eine bruchlose Identifikation mit dem singenden Ich – eine Todsünde im Schlagergenre und auch im Bereich des Pop höchst ungewöhnlich. Frl. Menke zu verstehen setzte voraus, ihre dezenten Distanzierungssignale wahrzunehmen. Diese Gabe hatte nicht jeder, weshalb Frl. Menke bis heute (auch in „Verschwende deine Jugend“) häufig als typische NDW-Verwässererin in einem Atemzug mit Sängern wie Hubert Kah oder Peter Schilling genannt wird. Heute lebt sie eher bohèmistisch von einem Job beim United Parcel Service und gelegentlichen NDW-Galas (www.frlmenke.de). Ihr Frühwerk ist auf einer CD bei Bear Family erschienen.

Wolfgang Müller, 44, Musiker (Die tödliche Doris; Geniale Dilletanten), bildender Künstler, Autor, Meisen-, Elfen- und Islandspezialist, ist taz-Lesern längst kein Unbekannter – etwa durch seine lose Rezensionsfolge „Bücher für Randgruppen“ oder durch seine unermüdliche Tätigkeit als Präsident der Walther von Goethe Foundation. Zuletzt erschien von ihm die Doppel-CD „Islandhörspiele“ (Verlag Martin Schmitz, 24,50 Euro), deren gelegentlich in die Handlung eingestreute Lieder belegen, dass das Beste aus der Neuen Welle in ihm fortlebt. Zurzeit hat der einstige Schulabbrecher eine Gastprofessur an der Hamburger Hochschule für bildende Künste inne. Das Honorar hierfür – typisch Müller – ist zu großen Teilen in die Übersetzung von Goethes „Metamorphose der Pflanzen“ (1790) ins Isländische geflossen. Beim CSD in Reykjavík trat Müller am vergangenen Wochenende mit der Berliner Band Stereo Total auf. RKR