„Demokratie muss man sich permanent erarbeiten“

Ganz neu mit 50: Präsident Krüger will mit der „Bundeszentrale für politische Bildung“ nicht indoktrinieren, sondern Partner der Jugendlichen sein

Krüger: „Wir sind kein Relikt. Wir kommen nicht vormundschaftlich daher.“

taz: Herr Krüger, Ihre „Bundeszentrale für politische Bildung“ hat gerade zum 50. Geburtstag eine Tour quer durch Deutschland gemacht. Irgendwie hat es niemand mitbekommen.

Thomas Krüger: Wieso, selbst die taz hat darüber berichtet. Natürlich waren wir als Bundesbehörde bisher eher als Verteiler von Heften und Büchern bekannt. Durch unsere Tour haben wir aber viele Anregungen aufgenommen und Kontakte geknüpft. In Bonn waren zuletzt mehrere tausend Leute dabei – ein glanzvoller Abschluss.

Wer braucht mehr als zehn Jahre nach der Wiedervereinigung die Bundeszentrale noch?

Wir sind kein Relikt aus der Zeit der Reeducation. Wir hatten nach dem Zweiten Weltkrieg zweifellos andere Aufgabenschwerpunkte als heute. Damals stand die Aufarbeitung des Nationalsozialismus im Vordergrund, ein immer noch wichtiges Thema. Wir haben uns aber sehr schnell den aktuellen Auseinandersetzungen zugewandt: Den 68ern, der pädagogischen Diskussion in den 70ern, der Ökologie- und Friedensbewegung und der deutsche Einheit. Aber die Gesellschaft wandelt sich. Heute stehen Globalisierung und Globalisierungskritik im Mittelpunkt.

Ist im Wahljahr das Interesse an politischer Bildung größer?

Nein, wir erleben unseren Ansturm kontinuierlich. Allein unsere „Schwarzen Hefte“ haben eine Startauflage von 920.000 Stück – pro Ausgabe. Sie werden mehrere Millionen Mal geordert. Jeden Monat gehen bei uns 75.000 Bücher raus – und da sind die 15.000 Exemplare „Grundgesetz“ noch nicht dabei. Die Resonanz ist hoch. Das einzige Problem, das wir haben: Wir erreichen nicht genug junge Erwachsene nach der Schule.

Die haben nach der unsäglichen Bonusmeilen-Affäre einen Grund mehr, sich von Erwachsenen-Politik abzuwenden.

Keine Frage, jeder Skandal ist eine neuerliche Enttäuschung. Er bestätigt Vorurteile gegenüber der Politik. Die Debatte war ein Schlag ins Kontor – und zeigt uns, dass wir am Ball bleiben müssen.

Und wie bleiben Sie am Ball?

Um junge Menschen zu erreichen, braucht man heute andere Angebote. Wir sind zum Beispiel mit unseren Produkten online gegangen. Oder produzieren als Kooperationspartner Events – die HipHop-Sommeruniversität Campus 2002 in Essen oder den Graffiti Breakdance Contest BOTY in Braunschweig. Wir versuchen junge Menschen über ihre Lebenswelt anzusprechen. Denn ein Interesse an politischen Themen gibt es – trotz der Distanz zu Politik als Betrieb.

Selbst Eltern und Sozialarbeiter können die Distanz nicht überwinden.

In den Jugendmilieus wird ein struktureller Generationenkonflikt sichtbar. Klassische Autoritätsinstanzen wie Eltern, Lehrerschaft oder Polizei haben kaum mehr wertsetzende Bedeutung. Werte vermitteln sich über mediale Personen, über Popstars oder Kultfiguren der jeweiligen Szenen. Gerade in der HipHop-Szene wird sehr stark mit Werten wie Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit operiert. Über klassische Multiplikatoren kämen wir da nicht ran.

Sondern?

Hauptmultiplikatoren für junge Erwachsene sind die jungen Erwachsenen selbst. Die wollen wir erreichen – und dabei nicht indoktrinieren, nicht von oben herab Politik einträufeln, sondern akzeptierter Partner werden.

Bisher sind sie eher Bücheronkel für Politik- oder Geschichtsstudenten. Wie wollen Sie aus dem akademischen Elfenbeinturm herauskommen?

Es wäre ein Fehler, den Elfenbeinturm abzureißen. Wir brauchen diejenigen, die sich professionell politischen Themen widmen. Aber wir werden unsere Themen punktgenauer auf die Zielgruppen ausrichten. Unsere ergänzende Strategie heißt, die Gesellschaft zu aktivieren. Kompetenzen politischer Intervention zu trainieren bedeutet zum Beispiel, dass wir uns auf neue Modellprojekte konzentrieren – die Qualifizierung von weiblichen Führungskräften für die Politik etwa. (Siehe oben)

Bislang nutzen vor allem männliche Westdeutsche Ihr Angebot. Wie kommt das?

Politik war lange Zeit Männerdomäne. Die aufzubrechen erfordert, Demokratie zwischen den Geschlechtern herzustellen. Wir machen das auch selbst, indem wir unsere Behörde nach den Prinzipien des Gender Mainstreaming neu formieren. Dazu gehört, Frauen in Führungspositionen besser zu berücksichtigen – eigentlich eine Selbstverständlichkeit, die unsere Einrichtung viel zu lange versäumt hat.

Für welche Politik-Themen interessieren sich Frauen?

Wir haben in einer eigenen Umfrage herausgefunden, dass Themen wie Bildungspolitik, Gewalt, Zukunftschancen der jungen Generation bei Frauen auf großes Interesse stoßen.

Sie selbst kommen aus den neuen Bundesländern. Wie erklären Sie sich das Desinteresse vieler Ostdeutscher an politischer Bildung?

Wer mit dem FDJ-Studienjahr groß wurde, wer Wehrkundeunterricht und Staatsbürgerkunde in der Schule hatte, der hat eine gesunde Distanz zur politischen Bildung. Die steht immer unter Ideologieverdacht. Wir dürfen nicht vormundschaftlich daherkommen. Auch in der DDR sind Erfahrungen gemacht worden, die für die Aktivierung der Zivilgesellschaft mobilisierbar sind – daran wollen wir anknüpfen.

Klingt sehr soft. Wie gehen Sie mit dem harten Thema des Rechtsextremismus um?

Das ist eine grundsätzliche Herausforderung – gerade da, wo Skinheads den jugendkulturellen Mainstream schon bestimmen. Dort besteht die Gefahr, dass eine wenig ausgeprägte Zivilgesellschaft von anderen Wertvorstellungen überrollt wird. Da muss nicht nur politische Bildung intervenieren, sondern die gesamte Gesellschaft, Politik, Kirchen und Gewerkschaften. Die müssen begreifen, dass Öffentlichkeit gestaltbar ist. Demokratie ist kein Erbgut. Man muss sie sich permanent neu erarbeiten.

INTERVIEW: SUSANNE AMANN