Allein mit allen

Schon mit 0,8 Promille schick: Das heute beginnende Fantasy Filmfest zeigt einige Abstrusitäten und auch ein paar Filme, die es sonst nie zu sehen gibt

von TOBIAS NAGL

Fantasy-Filmfest-Geher sind eigenartig. Pickelgesichtig, bierbäuchig, langhaarig oder topfschnittig, tragen diese meist männlichen Wesen gerne schwarze Death-Metal-T-Shirts, wohnen in unaufgeräumten Vorstadt-Jugendzimmern und ernähren sich von Tiefkühlpizza. Häufiger als im Kino trifft man sie auf Video- und DVD-Börsen, dort kaufen sie sich vom ganzen Taschengeld ihre Lieblings-Splatterfilme in importierten „Uncut“-Versionen nach und fachsimpeln über möglichst „krasse“ Special Effects. Ihr größter Traum ist es, auf einem Dark-Wave-Konzert eine Frau kennen zu lernen, die Konturlippenstift benutzt und Unmengen von Jesus-Kerzen neben ihrem Plüschbett positioniert, weil sie das „stilvoll“ findet. Kurz: Fantasy-Filmfest-Geher sind eine der letzten überlebenden Subkulturen der 80er, und ab heute machen sie Berlin unsicher.

Beunruhigen muss das nicht. Die Leute sind harmlos und eigentlich längst Weltkulturerbe. Doch auch Hochmut ist fehl am Platz: Einst waren sie und ihre ästhetischen Präferenzen Haupt-Target der FSK-Zensur-Rambos, sie waren Video-Culture als praktizierte Copyright- und Highbrow-Subversion. Im Zeitalter von Internet und postmodernem Hollywood-Horror erscheint jedes neue Fantasy Filmfest jedoch immer irgendwie als Mogelpackung. Laut skandalisieren sich die Macher des „Festival der Extreme“, das dem „schreckhaften Mainstream-Publikum bestimmt zu viel sein wird“, und versprechen „einen hysterischen Mix aus Sex und Gewalt“. Dabei ist kein Festival so marktförmig und auf die Befriedigung starrer Publikumserwartungen hin organisiert wie das wochenlang durch die Cineplexe der Republik tourende Fantasy Filmfest.

Für Kritik sorgte zudem immer wieder die Premierenpolitik, die noch den letzten Teen-Horror-Popcorn-Quatsch als kuratorische Errungenschaft der Festivalleitung an den Mann brachte, bevor er zwei Wochen später in dieselben Kinos kam.

Um die Ohren hauen möchte man den Machern auch das Programmheft: Da scharen sich „jede Menge formvollendete, halbnackte Mädels“ um „Produzenten-Jungs“, verlieren „nervöse Nägelbeißer mindestens drei Finger“ beim „Zehn-kleine-Negerlein-Gemetzel“ (!) oder blicken neidisch ins „Land der aufgehenden Sonne“. Fantasy-Kinoerlebnis ist eben, wenn sich Stilblüte und pathologische Sexualangst zum Synchronsprechen treffen.

Dennoch gibt es jedes Jahr mindestens eine Hand voll Filme, die sonst nirgendwo zu sehen sind und nie mehr zu sehen sein werden. Ansonsten kommen zumindest einige Abstrusitäten zusammen. Der britische Gangsterfilm „Mr. In-Between“ erzählt vom gründlichen Profikiller Jon (Andrew Howard), der einsam in seiner Designerwohnung haust, sich aber recht bald in die Frau eines alten Schulfreundes verliebt. Wie vermutet, beginnen damit die Probleme – vor allem mit seinem Boss und Lehrmeister. Der räsoniert existenzialistisch über Mord als Sozialdarwinismus und kocht selbstverliebte Kreationen in einem unterirdischen Verließ, das er manchmal durch lange Reihen von Kerzen schmückt. Eine Vorliebe für archaische Beleuchtung hat auch Alex in „Alone“, einem Slasher-Movie, das bereits mit einem E.- A.-Poe-Zitat zu Beginn auf „Atmosphäre“ setzt. Anders als Jon ist er jedoch Serienmörder und hat eine Fistelstimme. Die Angst vor Keimen und Frauen ist es, die ihn umtreibt. All das kommt in einer der deppertsten Gender-bending-Schlussszenen der Filmgeschichte zusammen. Definitiv keine Kerze ist zum Glück im koreanischen „Say Yes“ zu sehen, der Motive aus den Horror-Roadmovies „Kalifornia“, „Duell“ und „Texas Chainsaw Massacre“ zu einem immerhin slicken Mix verwurstet.

Wirklich interessant werden könnte es hingegen bei „Irreversible“ vom französischen Autorenfilmer und Über-Stilisten Gaspar Noé (dessen großartige Psychostudie „Seul Contre Tous“ vor drei Jahren zu den Sensationen des Festivals zählte – aber keinen Verleih in Deutschland fand). Seit Cannes eilt dem Film der Ruf voraus, noch härter und vor allem „kontrovers“ zu sein: In „Memento“-Art erzählt „Irreversible“ rückwärts von Vergeltung und vorangegangener Vergewaltigung, die dann auch volle neun Minuten abgesessen werden muss. Freunde des ostasiatischen Genrekinos werden mit Neuem von Johnnie To („Fulltime Killer“), Andrew Lau („The Avenging Fist“), Takashi Miike („Ichi – The Killer“) versorgt; der koreanische Actionthriller 2009 „Lost Memories“ wagt sich gar auf so historisches Terrain wie die japanische Besetzung Koreas vor. Die Festival-Schiene Planet B zeigt Splatter-Handwerk aus Babelsberg mit Spezialeffekten, die – laut Katalog – „schon mit 0,8 Promille ziemlich schick ausschauen“. Das ist in der Tat – ziemlich ehrlich.

Vom 14. 8. – 21. 8., CinemaxX Potsdamer Platz, Potsdamer Str. 5