Zusammenhänge zerstreuen

Die Kunst diskutiert die Kunst: Ein Abend mit Holger Kube Ventura und Georg Schöllhammer setzt die Veranstaltungsreihe im Kunstverein zur Kunst und Politik in den neunziger Jahren fort

von ROGER BEHRENS

Wollte man, freilich etwas grob, die Entwicklung der Künste im vergangenen Jahrhundert auf eine Formel bringen, so ist es die widersprüchliche von Avantgarde und Retrogarde: Die moderne Kunst, im Schatten des Imperialismus erwachsen, entfaltete sich im Licht neoliberaler Globalisierung als Antimoderne; Kunst und Leben lösen sich gegenseitig in der Ästhetisierung des Alltags auf.

Die Themen von gestern sind die Themen von heute, nur in umgekehrter Perspektive: Brachte der Expressionismus einmal die afrikanische Maske in die Großstadt, so baut nun Bodys Kingelez aus den Masken des Warenfetischs utopische Metropolen nach. Verändert haben sich die Grenzen, die Ränder, die Definitionen von Kunst und der Raum, vor allem der Diskursraum der Kunst ist enger geworden, entkoppelt von den ästhetischen Fragen von ehedem (auch die aktuelle ästhetische Theorie ignoriert weitgehend die Gegenwartskunst).

Es geht, wie jetzt in einer Veranstaltungsreihe im Kunstverein, nicht mehr um Werkbegriff und Rezeptions- versus Produktionsästhetik, sondern um „Politik“. Doch damit ist weniger die ästhetische Frage nach sozialer Reichweite der Kunst gemeint, sondern ein L‘art pour l‘art, das jetzt als Kunst gegen die Kunst operiert. Das bedeutet vor allem eine Auseinandersetzung mit einem Kunstbetrieb, der Kunst nur noch als Nachlass verwaltet, abgeschoben in die Reservatenkammer bürgerlicher Ideologie.

Hier hereinzukommen oder, schwieriger noch, herauszukommen entscheiden die Türsteher des jüngsten Kunstdiskurses; im Rahmen der Ausstellung Zusammenhänge herstellen, die noch bis zum 25. August im Hamburger Kunstverein zu sehen ist, laden der Leiter des Kunstvereins Yilmaz Dziewior und der Kritiker Jan Verwoert ein, die Türpolitik des aktuellen Kunstdiskurses zu diskutieren. Georg Schöllhammer, Herausgeber von Springerin (Wien), und Holger Kube Ventura, Direktor der Werkleitz Gesellschaft e.V., werden morgen die Debatte fortsetzen. Diskutiert wird die „theoretische Rahmung von künstlerischen Strategien, die die kritische Reflexion gesellschaftlicher und kultureller Problemstellungen zu ihrem Gegenstand machen“.

Diskutiert werden aber leider nicht die diesem Fragekomplex zugrundeliegenden Begriffe: Strategie, Kritik, Reflexion, Gesellschaft oder Kultur. Sie bleiben Plaketten, schlimmstenfalls Phrasen; und wer nicht bescheidwissend die Referate der kritischen Kritiker nachbetet – das zeigten die bisherigen Veranstaltungen der Reihe –, macht sich verdächtig, die letzten zehn Jahre verpasst zu haben. Zusammenhänge herstellen heißt hier nicht nur Kontextkunst zu diskutieren, sondern mit der Diskussion der Kunst und vor allem ihrer Kritik sich selbst das exponierte Plätzchen im Diskurs zu sichern. Ventura hat mit Politische Kunst Begriffe dazu das Handbuch geliefert und zugleich Kunstgeschichte geschrieben.

Solcher Zusammenhang, der den Diskurs im Diskurs überhaupt erst erfindet, beruht allerdings auf Differenzierungen, Abgrenzungen, Verdichtungen, Abtrennungen nicht zuletzt vom politischen Feld jenseits der Kunst, auf das sich doch vermeintlich gerade bezogen werden soll. Geredet wird über den sozialen Raum, über Kontrolle und Sicherheit, ohne die Kontrollgesellschaft und deren Sicherheitspolitik zu thematisieren.

Das ist umso auffälliger, wenn eine ähnliche Debatte mit anderer Ausrichtung gerade im Rahmen des Camps „Land in Sicht“ geführt wird und Hamburg mit Projekten wie Park Fiction oder – aktuell – dem Radioballett von Ligna durchaus kunstpolitische wie sozialkritische Praxis kennt. So empfiehlt sich neben der Diskussion und Ausstellung im Kunstverein etwa das nächste Ligna-Projekt im Rahmen der Off-Kunst-Ausstellungsreihe „puzzelink-evidence“: „Radioastronomische Untersuchungen im urbanen Raum“.

Ventura/Schöllhammer: morgen, 19 Uhr, Kunstverein, Klosterwall 23; Lignas Radiowellen I-IV: 24.8., 19 Uhr, Marktstr. 6; Holger Kube Ventura: Politische Kunst Begriffe in den 1990er Jahren im deutschsprachigen Raum, Edition Selene, Wien 2002, 18,90 Euro