Das Menetekel von Kreuzberg

Der Goldrausch im deutschen HipHop ist verflogen, das Scheitern von „Def Jam Germany“ ist ein Symptom der Krise. Major-Firmen lassen den Nachwuchs fallen, Rap-Talente wie Pyranja müssen sich nach einer neuen Heimat umsehen

Zu DDR-Zeiten wurden hier Eier gelagert. Heute brütet man an der Oberbaumbrücke in Berlin in den neuen, frisch bezogenen Firmenlofts von Universal Music über Geschäftstrategien; hier sollen die kleinen Stars von morgen schlüpfen. Die Rapperin Pyranja allerdings wird nicht dabei sein. Die Neuberlinerin trägt Kapuzenpullover und kickt harte Raps. Ende August hätte ihr Album-Debüt „Wurzeln & Flügel“ rauskommen sollen, auf einem Unter-Unterlabel von Universal, Def Jam Germany. Doch das Label ist Anfang Juli geschlossen worden, Pyranja erfuhr es erst eine Woche zuvor.

Vor zwei Jahren hatte sich alles noch viel versprechend angelassen: Das legendäre US-Label Def Jam gab seinen Namen, der Konzern Universal die Mittel, Berlin-Kreuzberg die ädaquate Kulisse, und als erster Act kam aus dessen Straßen das Chaoten-Duo Spezializtz bei „Def Jam Germany“ unter Vertrag. Kurz darauf folgte schon Pyranja. Andreas „Bär“ Läsker, der zuständige A&R-Manager, hörte sich damals in seinem ledernen Chefsessel mit eingebauten Boxen ein Demotape nach dem anderen an und signte, was der Markt noch hergab: neue Namen wie Phillie MC, Konkret Finn, Wolvzblut, Zugga und Eisblume – oft Bands aus der Provinz, meist unbekannt in der Szene. Denn Szene-Größen wie Samy Deluxe und Curse waren schon vergeben, und dass deutscher HipHop angesagt war, hatte nach dem Erfolg der Absoluten Beginner mit „Bambule“ auch der letzte Labelboss gerochen.

„Wer hätte so viel verkaufen sollen?“, fragt sich jetzt auch Pyranja. Die Verkaufszahlen von „Def Jam Germany“ jedenfalls gerieten schon nach kurzer Zeit zum Fiasko: Keinem der Newcomer gelang es, sich zu etablieren, und selbst die Spezializtz, eigentlich das Aushängeschild des Hauses, dümpelten in den unteren Tabellenrängen der ersten deutschen Rapliga. Konzernchef Tim Renner mochte dem kostspieligen Treiben nicht lange zusehen, und auch die Mutterfirma Def Jam soll Druck aus den USA gemacht haben.

„Wirtschaftliche Gründe“ hätten zur Schließung geführt, heißt es nun bei Universal. „Die Krise der gesamten Musikindustrie war auschlaggebend“, sagt Neffi Temur. Er ist jetzt Chef des Nachfolgelabels Urban Def Jam, zu dem die gescheiterte HipHop-Abteilung mit dem Dance-Label Urban verschmolzen wurde. Universal nennt das Konstrukt nun eine „unschlagbare Mischung“. HipHop-Heads dagegen dürften Künstler wie Westbam und Method Man wohl eher als unvereinbar gelten. Und die Geschäftspolitik von Urban Def Jam sieht nun so aus: Die US-Importstars und bewährte Deutschrapper werden weiterhin vertrieben – der Aufwand, noch die Nachwuchstalente von gestern aufzubauen, aber gescheut. „Es ist nicht unsere Aufgabe, die Fehler von Def Jam Germany auszubaden“, heißt es dazu nur knapp.

Dabei hatte der neue Universal-Konzernchef Tim Renner den sorgfältigen Aufbau von Künstlern statt schnelllebiger Hitmaschinen einst zur Firmenphilosophie erklärt: Mit ihrem exzessivem Ritt auf der Neuen Deutschen Welle hatten die Majors in den Achtzigern schließlich schon mal ein nachhaltiges Debakel erlebt. Damals schwor man sich, die Aufbauarbeit künftig szenenahen Indie-Labels zu überlassen. Doch der Niedergang von Def Jam Germany zeigt, dass das Sublabel eines Majors nicht unbedingt mehr Indie-Attitüde haben muss als sein Mutterkonzern. Schlussendlich zählen auch hier die Umsätze.

Die Mitarbeiter und Künstler von Def Jam Germany stehen nun seit Juli auf der Straße. Nur an Andreas „Bär“ Läsker, verantwortlich für die Verpflichtung der vielen Namen, die man nun für zu wenig zugkräftig hält, scheint man bei Universal nicht zu zweifeln: Der A & R ist als Berater weiterhin beim Nachfolgelabel tätig.

„Es ist wie im Krieg: Bomben und Orden treffen immer die Falschen“, kommentiert trocken Markus Staiger von Royalbunker. Das kleine Label aus Berlin gehört zur raren Spezies der Indie-Firmen ohne Nabelschnur zu einem Musikkonzern – aus Überzeugung („Wir ficken die Industrie von hinten in den Arsch“ lautet ein RB-Werbeslogan). Zur Spezialität der Berliner Undergroundkrieger gehören Battle-Tapes mit anstößigen Texten. Doch ihr Album „N.I.P.“ von der Kool Savas-Posse M.O.R. schaffte es auf Anhieb, ganz ohne den üblichen Werbaufwand, auf Platz 65 der Albumcharts.

Dort tummeln sich die Künstler von Four Music wie Freundeskreis oder Gentlemen schon lange. Das Sony-Sublabel, gegründet von den Fantastischen Vier, war einst Vorbild für Def Jam Germany. Den Umgang ihrer Adepten mit Künstlern wie Pryanha findet Fitz Braum, Managing Director von Four Music, allerdings schlicht „skandalös“. Die Szenekenner aus Stuttgart hatten den kurzen Goldrausch der Major-Firmen ohnehin zurückhaltend verfolgt: Ihren letzten eigenen Rapact haben „Four Music“ vor drei Jahren gesignt.

Das Scheitern von „Def Jam Germany“ wird nun aber durchaus schon als Menetekel gesehen: Markus Staiger wertet es als „ein unglaublich schlechtes Zeichen für die Branche“. Er fürchtet, dass damit bald die wenigen Foren für kleine Labels, etwa „Mixery Deluxe“ auf dem Musiksender Viva, verloren gehen.

Fitz Braum dagegen will noch nicht von einer Krise des deutschen HipHop sprechen: Die schwindenden Verkaufszahlen entsprächen den weniger gewordenen Verkäufen insgesamt. Doch in manchen Konzernetagen wird deutscher Rap schon zum Auslaufmodell erklärt. Von Universal-Chef Tim Renner etwa soll es bereits die interne Anweisung gegeben haben, keine heimischen HipHop-Acts mehr zu signen.

Rappern ohne ein künstlerisches Zuhause stehen nun harte Zeiten bevor. Auch Pyranha hat noch keine neue Plattenfirma gefunden, aber ihr Album wird nun wohl bei einem HipHop-Indie wie Royalbunker rauskommen. Ihr Album ist schließlich im Kasten, Fotos und Videos längst gemacht. Ein halbes Jahr hat Pyranja dafür im Studio verbracht, viel Geld floss in die Produktion, nur die Pressung stand noch aus. Doch Pyranja kann noch froh sein, wenigstens die Rechte an ihren Songs behalten zu können. Üblich ist das nicht im Musikbusiness. Fast mittellose Kleinstlabel wie Royalbunker bieten sich in derzeitigen Situation als letzte Zufluchtsorte für Newcomer und Nichtkommerzielle an. Wie Markus Staiger sagt: „Dort, wo man sich nicht schöne Lofts einrichtet, sondern sich noch um die Musik kümmert.“

SIMON JÄGGI