Überleben am Stadtrand

Vor ein paar Monaten noch der beste Laden zum Funhaben mit dem besten Rigo der Stadt, heute nur noch bedingt zu empfehlen und vor allem Teenie-Hang-out: Ein Besuch in der Großraumdiskothek „Kontrast“ in Dahlwitz-Hoppegarten

von OLIVER RUF

Die Musik aus den Boxen erinnert an einen alten Schafhirten mit Bart und Pfeife, der sie aus dem zerfledderten Lautsprecher seines Kassettenrekorders hört. Irgendwo in Kroatien. Eine schöne Vorstellung jugoslawischer Heimatlichkeit. Ich sitze an diesem Samstagabend in einem tiefer gelegten BMW, der einer Gruppe Kroaten gehört, bei denen ich zur Zwischenmiete wohne. Wir sind auf dem Weg in eine Disko, eine richtige Disko.

Nach zermürbenden 70 Minuten auf Berliner Straßen und einem kompletten Album südländischer Folklore sind wir im Gewerbegebiet Dahlwitz-Hoppegarten. Hier hat jemand einen großen Klotz hingestellt und in leuchtenden Lettern „Kontrast“ an die Front geschrieben. Die Männer am Eingang sehen aus, wie Männer am Eingang überall aussehen: Das T-Shirt spannt merklich über Brust und Oberarmen. Mädchen haben an ihrer Kleidung gespart; nicht vergeblich, denn die Türsteher lassen sie rein, ohne sich Gedanken über ihr Alter zu machen.

Drinnen bemerkt man zuerst die Vortänzer beiden Geschlechts. Ein geölter Kerl mit Kopftuch und Tangahöschen und eine Kollegin in Kugelkäfigen. Auf dem anderen Floor die HipHop-Wumme. Dafür keine Go-gos. Die Besucherinnen machen den Job freiwillig. Der DJ hat sich zu Hause CDs gebrannt und lässt sie unentwegt laufen. Die Stücke kündigt er in gepresster Tonlage an. Immer wieder Busta Rhymes. Meine kroatischen Freunde stürmen die Tanzfläche.

Auch Billard kann man spielen. Eine Treppe führt nach unten, wo verdächtige Technoklänge herschallen. Ganz oben wiederum gibt es eine Dachterrasse und eine Grillhütte, dazu Musik aus den Charts. „Heute ist nicht viel los“, sagt die Frau hinter der Theke. „Es sind Schulferien und die meisten im Urlaub.“ Mit erstaunter Mienen bestellt man eine Runde: drei Euro das Bier, sieben Euro Jägermeister-Redbull, sechs Euro ein Mixgetränk in Flaschenform. Die männlichen Diskogänger tragen die Haare aus- und abrasiert, zeigen breite Schultern und schauen ihre weiblichen Gegenüber von den Zehenspitzen bis zur unteren Kinnkante genau an.

Der Diskjockey in der HipHop-Halle spielt „Survivor“ von Destiny’s Child. Ums Überleben geht es aber nicht, sondern um Körpersprache: Blutjunge Mädels wackeln mit dem Popo, Jungs in weiten Hosen und Unterhemden zappeln hemmungslos am Tanzflächenrand. Drei Mädchen werden von drei Frauen von den Boxen vertrieben – zweimal blond, einmal brünett. Sie dulden keine bedeutend jüngeren Mitbewerberinnen um die Blicke der maskulinen Zuschauer, lassen aber in gleicher Weise die Hüften kreisen. Das Schauspiel halten sie 30 Minuten durch. Dann nutzen die zuvor Vertriebenen die Konditionsschwäche der Frauen aus. Auf dem schmalen Trittbrett der Geländerbrüstung dürfen sie die mühsam einstudierten Musikvideobewegungen zeigen.

Im Morgengrauen haben die Kroaten genug. Niemand grüßt zum Abschied von der Stadtranddisko. Der Fahrer versäumt, die Musik zu wechseln. Kroatische Melodien begleiten die Heimfahrt durch die Nacht.

Im Gästebuch der Webseite partyzone-berlin.de. schreibt am nächsten Tag eine Autorin mit Nicknamen Teufelchen: „Vor ein paar Monaten der Laden zum Fun haben … war früher selbst jedes Wochenende dort … ging gar nicht mehr ohne … aber jetzt … so schlecht … überteure Getränke – 6 € für ein Rigo – hallo, das waren früher fast zwölf Mark … wo sind wir denn hier … Publikum hat sich im Altersdurchschnitt drastisch gesenkt … nur noch Teenies … geschweige denn die Möchtegern-Männer und super cool vorkommenden aufgetakelten Möchtegern-Schlägerbräute: ein Lacher!! … Also der Anfahrtsweg lohnt sich auf keinen Fall mehr … schon alleine der erste Eindruck, wenn man in die Disco reinkommt … und zwar die Türsteher … die reichen doch gleich, um wieder kehrtzumachen … kein IQ, kein Niveau, Prügelknaben … genau wie die verdammt schlechte Bedienung … und die Musik?! Der DJ (vor allem HipHop-Ecke) … Mann, wirklich so schlecht … spielt eine CD jede Woche aufs Neue … man weiß genau, was als Nächstes kommt … no Abwechslung und vor allem nix Neues … Fazit: Ich würd sagen, die besten Zeiten des Kontrasts sind schon lange vorbei. Auf keinen Fall mehr empfehlenswert!!!“ Weiter unten teilt Tweety mit: „Ich find es da eigentlich ganz cool. Das kann daran liegen, dass ich 16 bin und noch nirgendwo anders wirklich reinkomme!“