berliner szenen Krankenhausgespräche

Die Unterförsterinnen

Isolde D. liegt im Bett nebenan. Sie guckt aus dem Fenster. Sie sagt, dass sie 60 Jahre alt sei und ihre Freunde sie „Easy Rider“ nennen würden. So einen Namen bekommt man nicht einfach so verpasst. Isolde D. erklärt, schon immer habe sie „eine Welle gemacht“ und im Ku’damm- Karree „Cha Cha Hou“ getanzt. Von diesem Zeiten erzählt Isolde D. oft. Jetzt liegt sie in einem Krankenhaus am westlichen Stadtrand. Wegen einem kaputten Bein. Nachts stöhnt sie im Schlaf wie ein Nilpferd im Fluss.

Manchmal sagt Isolde D. schlimme Sätze. Wie einen Witz wirft sie diese zum Mittagessen hin. Sätze, die wie ein schweres Brett auf den Kopf fallen. Im Portionsteller liegt Hühnerfrikassee und Isolde D. sagt: „Der Stiefvater hat die Schwester vergewaltigt, dann in den Bauch getreten. Die lag nächsten Morgen tot im Bett.“ Zum Birnenkompott meint sie: „Mein Sohn ist spielautomatensüchtig“, zur Zitronencreme: „Jetzt fällt mir auf, wie ich mich vergeudet hab.“

Man weiß nicht, was man darauf antworten soll. Man versucht sie zu den wenigen Resten an Bewegungsfreiheit zu sortieren, die man im Krankenhaus noch hat. Zu den grauen Pyjama-Männern, den Grünpflanzen im Raucherzimmer, den namenlosen Tabletten, die man ständig nehmen muss, zur unangenehmen Gereiztheit der Krankenschwestern.

Ihren Mann nennt Isolde D. den „Oberförster“. Der Mann kommt jeden Nachmittag. Er bringt zuckerfreie Kaugummis mit, schweigt ein bisschen, dann geht er wieder. „Er ist so langweilig“, klagt Isolde nach jedem Besuch. Sie hat dann ziemlich schlechte Laune und schimpft über das Fernsehprogramm. Als wir aus dem Zimmer gehen, sagt sie „Sauft nicht so viel!“

KIRSTEN KÜPPERS