Käse statt Bomben

Am Anfang war die Idee: eine Käsestraße für Schleswig-Holstein. Inzwischen haben die 22 angeschlossenen Käsereien eine Erfolgsstory geschrieben. Jenseits der Scheiblette gibt es wieder guten Stoff im Land

von IRINA LUDEWIG

A 23 Richtung Norden, Abfahrt Tornesch, bei Krögers Hof nach rechts, bei Hannes Schlüter scharf links. Die Beschreibung führt zur kleinsten Hofmolkerei Norddeutschlands. Direkt vor der Haustür grasen Lene und Gina, zwei rote Angeler Milchkühe. Jede liefert fünftausend Liter Milch im Jahr. Das ist alles. Aufwändige Technik zur Weiterverarbeitung ist hier ebenso wenig zu finden. In der kleinen Milchkammer steht ein unscheinbares Gerät, das aussieht wie ein Einkochtopf: Ungefähr einen Meter hoch, rund, außen Plastik, innen Stahl. Oben ein verschließbarer Deckel, vorne Temperaturregler mit Kontrollleuchte, auf der Rückseite Wasserschlauch und Ablaufhahn. „Der kleine Apparat ersetzt eine ganze Molkerei?“ Skeptisch blickt eine Besuchergruppe auf den „INGA-Fertiger“.

Die misstrauischen Blicke gefallen Manfred Drews. Begeistert erklärt der ehemalige Professor der Bundesanstalt für Milchwirtschaft die Funktionsweise. „Erstmals können verschiedene Milchprodukte in einem einzigen Apparat hergestellt werden. Selbst kleinste Mengen können damit wirtschaftlich produziert werden.“ Ideal für kleine Direktvermarkter. Letzte Zweifel löst Ehefrau Inghild mit einem Glas frischer Buttermilch und Probehäppchen von Frischkäse und Camembert.

Der „Holsteiner Lederkäse“ hat die winzige Molkerei in die Schlagzeilen gebracht. Das Rezept war lange verschollen und wurde durch Zufall wieder entdeckt. Burchard Bösche von Slow Food Hamburg konnte Drews überzeugen, den uralten Käse, den Theodor Storm schon 1858 beschrieben hat, wieder herzustellen. Heute gehört der Magermilchkäse zum festen Sortiment und „INGA – die kleine Hofmolkerei“ wird unter Käsekennern als Geheimtipp gehandelt.

Mehr als ein Geheimtipp ist die „Schleswig-Holsteinische Käsestraße“, zu der Drews’ Minibetrieb gehört. Nach dem Vorbild der Weinstraßen haben sich hier die Käser zusammengeschlossen. Vor vier Jahren von Slow Food initiiert, sind inzwischen 22 Betriebe mit über hundert Käseprodukten „dem Genuss auf der Spur“, so ihr Werbeslogan. Anfangs agierten die Käser mit wenig Elan. Mühsam mussten die Gelder für erste Flyer und den Internetauftritt zusammengekratzt werden. Inzwischen funktioniert es besser.

Herzstück ist die fünfhundert Kilometer lange Route rund durch Schleswig-Holstein, die die Käsereien verbindet. Für die einen ist die Straße vielleicht nur eine Marketingidee, für die anderen eine Initialzündung. In einem Land, das fast nur industrialisierte, standardisierte Massenware produziert, in dem die Polizei schon mal Rohmilchkäseregale umstellt, weil bakterielle Gefahr im Verzug ist, konzentrieren sich die Käsestraßeproduzenten wieder auf gutes Handwerk, auf Geschmack und Authentizität. Die Qualität der Käse wird von Jahr zu Jahr besser. Die Produzenten, die sich vorher gar nicht kannten, spornen sich gegenseitig an, tauschen sich aus, probieren gegenseitig ihre Käse, werden ehrgeiziger und selbstbewusster.

Knapp achtzig Kilometer nordöstlich von Lene und Gina steht der Bauernhof der Familie Biss. Inmitten von Feldern und Wiesen gibt es weder Straßennamen noch Hausnummern. Die Anschrift lautet schlicht „Hofkamp“ und gehört postalisch zu Dersau. Während der Bruder den landwirtschaftlichen Hof der Eltern mit siebzig Milchkühen und hundert Hektar Land übernommen hat, baute Molkereifachmann Sönke Biss eine Käserei auf. Frau Christina betreut den Hofladen.

Vor vier Jahren haben sie mit der Käseherstellung begonnen, zunächst nur als Nebenerwerb. Das Sortiment wuchs, die Produktion wurde verzehnfacht, der Laden umgebaut und erweitert. „Erst heute können wir davon leben“, sagt Sönke. Das Angebot: mehr als ein Dutzend verschiedener Sorten Bauernkäse, von feinwürzig bis pikant, vom Einfachen bis zu „Heinis Bestem“, das Kilo zu 7,20 Euro. Touristen machen den Großteil der Kundschaft aus. Einheimische schauen selten vorbei. „Höchstens“, so Christina, „wenn ihre Feriengäste zum Frühstück was Typisches aus Schleswig-Holstein wollen.“

Wer hier Rast macht und im Hofladen Käse kauft, hat durch die eingebaute Glaswand einen direkten Blick in den Produktionsraum. Transparente Direktvermarktung, ganz neue Einkaufsgefühle jenseits plasteverpackten Supermarkteinheitsgoudas. Natürlich gibt es auch Hund und Katz, frei laufende Hühner und Kälbchen Peter. Das freut den Touristen. „Eine neue Nähe zwischen Produzent und Verbraucher“ will die Käsestraße herstellen. Der Kunde soll Milchverarbeitung und Käseherstellung miterleben.

Zur Käsestraße gehören aber nicht nur niedliche Kleinbetriebe. Direkt bei Plön liegt Gut Behl, das schon im Jahr 1143 erwähnt wurde. 1578 erwarb der Herzog von Plön den Hof. Seitdem gibt’s hier Milchwirtschaft. Das Bild von den uralten Gemäuern in ländlicher Idylle verfliegt, sobald die Einfahrt zur Gutskäserei passiert wird. Der rot verklinkerte Neubau beherbergt eine moderne Produktion mit Hofladen. In den Stallungen, ebenfalls komplett neu errichtet, ist Platz für mehr als vierhundert Kühe. Sie geben fast achttausend Liter Milch am Tag, die nebenan sofort verarbeitet wird.

„Die Rohmilch ist melkfrisch, wenn sie in die Käserei kommt“, sagt Betriebsleiter Martin Schmidt. Trotz modernem Ambiente ist die eigentliche Käseherstellung traditionell und handwerklich. Die Masse wird immer noch per Hand zu Laiben oder Broten geformt. Aus dem Salzbad kommen die Käse ins klimatisierte Reifelager. Dort erhalten sie nach monatelanger Behandlung ihr typisches, unverwechselbares Aroma. Wie etwa der bekannte „Fünf-Seen-Käse“, eine Behler Rohmilchspezialität nach französischem Vorbild.

Auch die Meiereigenossenschaft Ascheberg-Bordesholm mit 120 angeschlossenen Milchbauern gehört zur Käsestraße. Sie liefern im Jahr über fünfzig Millionen Kilo Milch an ihre Zentrale. Das Umdenken in Ascheberg begann vor vier Jahren. Das neue Konzept: Neben Industriekäse sollten zukünftig auch regionale Spezialitäten im gehobenen Preissegment produziert werden. Um sich am Markt zu behaupten, wurde erheblich in Vertrieb und Marketing investiert. Heute macht der „Ascheberger Nr. 1“, ein landestypischer Tilsiter in sechs Geschmacksrichtungen, gemeinsam mit weiteren Edelsorten mehr als ein Viertel der Produktion aus. Geschäftsführer Hans-Peter Beckurts reicht das noch nicht, er will die Qualitätsschiene weiter ausbauen.

Käsestraße? Eine Idee ist zum Selbstläufer geworden. Nächstes Projekt: Ein ehemaliger Munitionsbunker in Hohenlockstedt wird als großer Reifekeller genutzt. Käse statt Bomben!

Info: www.Kaesestrasse-sh.de, Kontakt: Detlef Möllgaard, Fon (0 48 26) 29 33

IRINA LUDEWIG, 33, ist freie Journalistin in Hamburg