„Babo kommt nicht mehr nach Hause“

Der muslimische Politiker Fikret Abdic wurde von einem kroatischen Gericht zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt

Fikret Abdic ist eine schillernde Gestalt. Im alten Jugoslawien galt der bosnische Muslim als einer der erfolgreichsten Manager in der beginnenden Marktwirtschaft der 80er-Jahre. Sein Agrarkonzern „Agrokomerc“ mit Sitz in Velika Kladusa in Westbosnien gehörte mit 20.000 Beschäftigten zu den größten des Landes. 1986 musste der Manager für ein Jahr ins Gefängnis, er hatte einen Bankencrash verursacht.

Während des bosnischen Krieges 1991–1995 mauserte sich der Geschäftsmann zum Gegenspieler von Alija Izetbegović im muslimischen Lager. Er warf Izetbegović vor, einen „islamischen Staat“ errichten zu wollen. Im September 1993 gründete er seinen eigenen Staat, die „Autonome Region Westbosnien“ – exakt das Einflussgebiet seines Konzerns – und spaltete damals das schon von serbischen und kroatischen Truppen bedrängte bosnisch kontrollierte Gebiet.

Fortan kämpften Muslime gegen Muslime in der Enklave Bihac-Velika Kladusa. Mehrere hundert Opfer soll dieser Kampf gekostet haben. Deshalb wird Fikret Abdic in Bihac und in Sarajevo als „Verräter“ und Kriegsverbrecher angesehen.

Dass ihn ein kroatisches Gericht in Karlovac jetzt wegen dieser Verbrechen zu 20 Jahren Gefängnis verurteilte, weist auf die Kompliziertheit der politischen Umstände hin. Die Anklage, „illegale Gründung eines Staates, gewaltsame Mobilisierung der Bevölkerung für seine Armee und die Bildung von Konzentrationslagern“, wo über 5.000 Zivilisten inhaftiert, 121 getötet und viele gefoltert worden sein sollen, hätte in Bosnien selbst nicht schärfer ausfallen können.

Der Gerichtsstand ergab sich daraus, dass Abdic nach dem Kurswechsel der kroatischen Politik 1994 – die Kroaten kämpften fortan nicht mehr mit den Serben gegen die Muslime, sondern mit den Muslimen gegen die Serben – fliehen musste.

Sein Reich zerbrach 1995 unter dem Ansturm der kroatischen Truppen während der Aktion „Westwind“. Tudjman aber hatte Abdic gegenüber eine Bringschuld. Abdic war bis Frühjahr 1994 das Schanier guter Geschäftsbeziehungen zwischen Tudjman und Milošević, über Abdic gelangten kroatische Waren in das von der UN boykottierte Jugoslawien.

Dass Abdic dabei nicht schlecht verdiente, versteht sich von selbst. Aber auch die 30.000 Menschen umfassende Bevölkerung seines „Reiches“, soweit sie nicht opponierte, profitierte. Während in Bihac gehungert wurde, gab es in Velika Kladusa Waren im Überfluss. 1995 floh auch die Bevölkerung nach Kroatien. Über 20.000 Menschen vegetierten über ein Jahr in einem Flüchtlingslager nahe der Grenze zu Bosnien, bevor sie mit internationaler Hilfe und Polizeischutz zurückkehren konnten.

Erst mit dem Regierungswechsel im Januar 2000 geriet der in Kroatien lebende Abdic ins Fadenkreuz der kroatischen Justiz. Bis zuletzt hofften seine Anhänger aus Velika Kladusa, dass ihr „Babo“, ihr „Vater“, wie sie ihn nennen, freigesprochen würde. Noch heute stimmen über 80 Prozent der Bevölkerung seines damaligen Reiches für seine Partei.

Abdic wollte sich sogar als Kandidat für die Präsidentschaftswahlen im Herbst aufstellen lassen. „Babo kommt nicht mehr nach Hause“ titelte die Tageszeitung Oslobodjenje in Sarajevo hämisch. „Jetzt ist ein Zeichen für alle Kriegsverbrecher gesetzt.“ ERICH RATHFELDER