Vom Pflanzen- und Menschenverbessern

Susanne Heim hat einen hervorragenden Band herausgegeben, der die NS-Agrarforschung international einordnet

In Schulbiologiebüchern war in den Sechzigerjahren noch neben dem Mendelschen Erbsen-Vererbungsschema das der Familie Bach und ihrer Musikalität abgebildet. Für viele Genetiker gibt es – bis heute – kaum einen Unterschied zwischen Pflanzen, Tieren und Menschen, d. h. ihre materialistischen Mikroanalysen sind mit sozialen Makropolitiken verknüpft. Sie glauben, dass die Minderwertigen aufgrund ihrer Vermehrungsfreudigkeit die Hochwertigen an den Rand drängen und dass man etwas dagegen tun muss. Bei den Menschen geschieht dies einerseits, indem man Entwicklungshilfegelder mit dem Zwang zur Massensterilisation (z. B. in Indien) verbindet, und andererseits, indem unfruchtbaren reichen weißen Frauen mit kompliziertester Technik doch noch zu einem Wunschkind verholfen wird.

In einem zusammen mit Ulrike Schaz 1996 herausgegebenen Buch „Berechnung und Beschwörung“ ist die Genetik- und Faschismusforscherin Susanne Heim den letzten Verfeinerungen dieser G-7-Politik nachgegangen. Nun ist sie noch einmal auf die Hochzeit dieser wissenschaftlichen Weltanschauung zurückgekommen – auf die Pflanzenzucht und Agrarforschung im Nationalsozialismus – und hat eine Aufsatzsammlung über „Autarkie und Ostexpansion“ herausgegeben.

Gleich im ersten Beitrag – von Jonathan Harwood – ist dabei von „Politischer Ökonomie“ die Rede: im Zusammenhang der Saatgutverbesserung und -vereinheitlichung und den daran anknüpfenden deutschen Züchtungsforschungen bis 1933. Vier Jahre später spricht der Züchtungsforscher Wilhelm Rudorf angesichts der bevorstehenden rassistischen Osterweiterung von den „politischen Aufgaben der deutschen Pflanzenzüchtung“. So heißt dann auch der Beitrag des Wissenschaftshistorikers Thomas Wieland, in dem er nach „den Ursachen für die auffallende Bereitschaft der akademischen Pflanzenzüchter, ihre Forschung an nationalsozialistischen Zielen auszurichten“ fragt. Nach den Erfahrungen des verlorenen Ersten Weltkriegs ging es darum, die „Ernährungsfreiheit“ des deutschen Volkes sicherzustellen, was im Kontext der deutschen Expansionspolitik ab 1941 bedeutete, dass gleichzeitig Millionen von Menschen im Osten dem Hungertod ausgeliefert wurden, weil sie nun als „unnütze Esser“ galten. Für die Pflanzenforscher tat sich dabei jedoch ein Eldorado auf, denn ihnen fielen dutzende polnische und sowjetische Agrarinstitute sowie Versuchsgüter in die Hände, gleichzeitig wurden – u. a. von Hans Stubbe – „Sammelkommandos“ durchgeführt, „um Wild- und Kulturpflanzensortimente in den besetzten Gebieten zu rauben“.

Die Sowjetunion hatte zunächst einen Vorsprung in der Saatgutverbesserung – und in der genetischen Grundlagenforschung. Dann war sie jedoch ab 1932 von „jeglicher Verbindung biologischen Gedankenguts mit sozialplanerischen Konzepten“ abgerückt. Nicht nur wurde die Eugenik als faschistisch kritisiert, die sowjetische Genetik wurde faktisch liquidiert, und einige Genetiker kamen sogar in Arbeitslager. Während die bürgerliche Forschung bis heute eher auf die Hochzüchtung erworbener Eigenschaften setzt, ging der Lyssenkoismus umgekehrt von der Möglichkeit der „Umerziehung“ sogar von Pflanzen aus: Keimlingen wurde Intelligenz attestiert und Setzlingen solidarisches Verhalten.

Einer der sowjetischen Genetiker, Timofejew-Ressowsky, konnte sich diesem revolutionären „Wahn“ entziehen, ging nach Berlin und brachte es sogar zum bedeutendsten Genetiker des „Dritten Reiches“, seine Forschungsergebnisse veröffentlichte er u. a. in Der Erbarzt.

Tatsächlich kann man sagen, dass die deutsche Pflanzenforschung direkt in Auschwitz kulminierte: Es gab dort eine Anlage zur Kautschukpflanzenzüchtung. Die Wissenschaftler trugen nicht selten SS-Uniformen, auf der anderen Seite betrieb die SS selbst ein eigenes Pflanzenforschungsinstitut.

Im Sammelband von Susanne Heim befasst sich nun Michael Flitner mit dem damaligen „genetischen Diskurs“ im internationalen Vergleich – unter dem Aspekt der „agrarischen Modernisierung“. Sowohl in Russland als auch in den USA und in Deutschland ging es zunächst um die Verbesserung der Erträge von Nutzpflanzen, um die Versorgung ihrer Bevölkerungen zu gewährleisten, in Deutschland noch forciert durch die Erfahrung der „Hungerwinter“ des Ersten Weltkriegs. Hier entwickelt sich daraus eine zunehmende Affinität zwischen Nationalsozialismus und Eugenik bzw. Rassenhygiene, die als „antiindividualistische Genpool-Orientierung“ bezeichnet wird. Während man in den USA ab Ende der Zwanzigerjahre mehr und mehr von der Eugenik abrückt, wird in der UdSSR mit der Genetik auch gleich die gesamte Biologie verworfen. HELMUT HÖGE

Susanne Heim (Hg.): „Autarkie und Ostexpansion“, 306 S., Wallstein, Göttingen 2002, 20 €