Wo Idi Amin Wurstpellen entsorgte

Mit einer Gratis-800-Kilo-Megatorte feierte das „Kempinski“ am Ku’damm sein 50-jähriges Bestehen. Janz Balin wa da – und erinnerte sich schmatzend an die goldenen Zeiten, da sich hier noch Leonard Bernstein an Hummer in Biersoße delektierte

von PHILIPP GESSLER

Zurück zu den Wurzeln, zurück zum Pöbel: Das Unternehmen mit Handelsregisternummer 93 HRB 1996 beim Amtsgericht Charlottenburg feierte gestern seinen 50. Geburtstag: Das Kempinski-Hotel mit dem Namen „Bristol“ am Kurfürstendamm lud zum Straßenfest. Kredenzt wurde eine 800 Kilogramm schwere, fünf Meter lange Riesentorte: „Kaffee, Kuchen und Eis gibt es kostenlos“, verkündete in typisch berlinischer Lautsprechmanier der geschäftsführende Direktor Manfred Nissen. Fasanenstraße ab 15 Uhr gesperrt, die Massen strömten wie üblich, wenn es in der armen Hauptstadt was kostenlos gibt – eine Idee, die eine Billigtradition aufnimmt, mit der das Kempinski einst groß geworden ist.

Denn in den 1890er-Jahren hatte der Unternehmensgründer, Exweinhändler Berthold Kempinski, mit einem ähnlichen Marketinggag durchschlagenden Erfolg. Er bot seine Gerichte an der Leipziger Straße und am Potsdamer Platz in „halben Portionen“ zum halben Preis an. Dieses Angebot wurde sprichwörtlich, so beliebt war es. Der Kaiser soll ebenso im „Kempi“ gesehen worden sein wie einfache Handwerker.

Sehen und gesehen werden – was schon in der Antike funktionierte, klappte auch hier. Als 1926 am heutigen Standort Kurfürstendamm Ecke Fasanenstraße ein mehrstöckiger Fresstempel entstand, strömten bald zwischen 3.000 und 4.000 Gäste in das Restaurant, das von außen einem Wohnhaus glich. Die Attraktivität des Hauses fasste ein Schlager aus der frühen Zeit so zusammen: „Erstens ist es dort sehr billig, und zweitens ist das Essen schön, und drittens sieht man dort Bekannte, und viertens wird man dort gesehn.“

Bestaunt wurden dort damals Schriftsteller wie Heinrich Mann, der Theatermeister Max Reinhardt und die Tänzerin Fritzi Massary – später kamen Albert Einstein und die Dietrich dazu. Doch mit der Machtergreifung der Nazis 1933 ging es bergab: Braune Horden forderten zum Boykott der Edelwirtshäuser auf, denn die Kempinskis waren Juden. Nachdem sie auf Druck der Nazis ihren Besitz verkaufen mussten, emigrierten sie in die USA. Nicht alle Familienmitglieder überlebten die Nazizeit. Alle vier Restaurants wurden im Bombenhagel zerstört.

Dennoch investierte der Enkel Berthold Kempinskis, Friedrich (Frederic) Unger, in der verwüsteten Hauptstadt erneut in ein Restaurant an alter Stelle – und in den Bau des modernsten Hotels Europas: ein Symbol für den Wiederaufbau. „Kempinski heißt: Berlin kommt wieder“, lautete damals eine der Schlagzeilen zur Eröffnung des Hotels 1952. Doch kein Jahr später verkaufte Unger seine „M. Kempinski & Co. GmbH, Berlin“ wieder. Aus gesundheitlichen Gründen, so seinerzeitige Gerüchte.

Überliefert sind aus der folgenden großen Zeit des Hotels viele Geschichtchen von Stars und Politikern. Von Fidel Castro, Indira Gandhi, Ludwig Erhard, Theodor Heuss und dem ugandischen Diktator Idi Amin, der angeblich Kaviar mit Bockwürstchen bestellt und die Wurstpelle auf den Teppich geworfen hat. Der Komponist Leonard Bernstein habe sich frühmorgens Hummer in Biersoße kredenzen lassen, Gerd Wiltfangs Pferd soll auf dem Flur getänzelt, Liza Minnellis Pudel ein Einzelzimmer bekommen haben. Romy Schneider nächtigte im „Kempi“ wie alljährlich viele „Berlinale“-Stars und -Sternchen. Und Curd Jürgens ist im Luxushotel unter anderem deshalb noch in Erinnerung, weil er sich echauffierte, als eines Tages seine Suite schon an Hildegard Knef vergeben worden war. Dafür hat sie dann auch im Kempinski geheiratet.

Die Wiedervereinigung 1990 brachte neuen Schwung für das Kempinski, das im Laufe der Jahrzehnte den typisch Westberliner Muff der 60er-, 70er-Jahre angenommen hatte. Mittlerweile sind die „Kempinski Hotels & Resorts“ ein internationales Unternehmen, das dieses Jahr sogar ein Kreuzfahrtschiff gekauft hat. Das „Adlon“ am Brandenburger Tor wurde übernommen – auch wenn es über den Namen einen eher lächerlichen Streit mit einer Cafékette gab.

Schlechte Presse hagelte es auch, als 1994 eine Messingtafel in Erinnerung an die früheren jüdischen Besitzer, die Kempinskis, am Ku’damm-Hotel angebracht wurde: Es gab Proteste, dass die Tafel zu wenig an die Schuld der Täter, der Nazi-„Arisierer“, erinnere. Vier Jahre später drohte dem Haus gar die Räumung: Das Landgericht gab dem damaligen Eigentümer, der Frankfurter Advanta-Gruppe, Recht, der die Kempinski AG Mietzahlungen schuldig geblieben war. Man einigte sich zwar recht schnell auf einen vorläufigen Vergleich – aber noch heute laufen Verhandlungen über eine endgültige Regelung. Es geht immerhin um 100 Millionen Mark.

Das scherte die Berlinnerinnen und Berliner, die gestern zum Freikuchen kamen, jedoch nicht: Um ein Stückchen von der eher schlichten Megatorte in der Form des Hotels, entfernt an einen popelgelben Dampfer erinnernd, zu ergattern, gab es das übliche Geschubse. „Das Schiff ist echt hässlich geworden“, nörgelte eine junge Frau in der Schlange. Der Spruch „Schnauze, sonst Beule“ schmückte den Bierbauch eines anderen Kuchenabzockers. Es war wie immer in Berlin. Das „Kempi“ gehört einfach dazu.