philipp maußhardt über Klatsch
: Hunger nach Klatsch

In Simbabwe gibt es zwar nichts zu essen, aber die Zeitungen berichten von ganz anderen Dingen

Es fällt mir heute nicht ganz leicht, auf Klatsch umzuschalten. Wenn man gerade aus Simbabwe zurückkommt, wo die Leute nichts mehr zu essen haben, kommt man doch ins Grübeln, ob wir uns hierzulande immer mit den richtigen Dingen befassen. Wahrscheinlich ist Klatsch einer der typischsten Luxusartikel einer Übersättigungsgesellschaft, den man sich nur dann leisten kann, wenn man sonst keine Bedürfnisse mehr hat. Voll gefressen und zufrieden lehnen wir uns zurück und lassen uns unterhalten von Glück und Elend unserer Mitmenschen. Saubande, elende!

Mein Gott, jetzt hab dich doch nicht so. Wegen ein paar verhungernder Kinder muss man doch nicht gleich die Sinnfrage stellen und auf allen Spaß verzichten. Biste Journalist, oder biste keiner? Also, Schalter umlegen und los. O.K. Wo waren wir stehen geblieben? Übrigens habe ich mir auf dem Flughafen von Harare vor dem Rückflug noch schnell eine Zeitung gekauft, den Standard, eines der ganz wenigen Blätter, deren Journalisten noch nicht von Mugabes Mord- und Schlägertruppen umgebracht wurden. Und was lese ich auf Seite eins: Der Regionalmanager der staatlichen Getreidevermarktungsgesellschaft aus der Provinz Masvingo, also Max Manetsa, hat dem Geschäftsmann Stephen Chengeta, ebenfalls Masvingo, die Ehefrau ausgespannt. Obwohl die beiden schon zehn Jahre lang verheiratet waren! Darum hat der Chengeta jetzt den Manetsa auf 200.000 Simbabwe-Dollar Schadenersatz verklagt. (Nachzulesen unter www.thestandard.co.zw vom 14. Juli).

Aber das ist noch längst nicht das Schlimmste, es kommt noch viel brutaler. Kaum hatte ich Simbabwe wieder verlassen, hat zwei Tage später der Sprecher der Opposition, der „Bewegung für einen demokratischen Wandel“ (MDC), ein gewisser Learnmore Jongwe, seine Frau in flagranti im Bett mit einem Rechtsanwalt erwischt (Standard vom 21. Juli). Daraufhin hat der Learnmore (was für ein schöner Vorname!) seine Ehefrau Rutendo erschlagen. Während also nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO zur Zeit etwa sechs Millionen Einwohner an Hunger leiden, diskutieren die Zeitungen in Simbabwe, was ein Seitensprung kostet. Manchen das Leben und manchen 200.000 Dollar. Vielleicht ist ja Klatsch gar kein Luxusartikel. Vielleicht ist Klatsch das Gegenteil davon. Vielleicht braucht man den Klatsch als Ablenkung umso mehr, je elender man sich fühlt. Als Trost.

Wer tröstet Scharping? Natürlich die Gräfin. Wer tröstet Cem Özdemir? Hoffentlich ein Psychiater. Es geht uns ja allen schlecht, und wir haben die Ablenkung bitter nötig. In einem meiner Lieblingsbücher, „Nacht“ von Edgar Hilsenrath, denkt der verhungernde Ranek im Judenghetto von Prokow oft an die Ärsche und Brüste der Frauen. Nicht an Rinderbraten. Würde man sich nämlich immer mit den Dingen befassen, die einen wirklich etwas angehen, könnte man nicht lange überleben. Seit ich verheiratet bin, versuche ich deshalb nicht mehr so oft an andere Frauen zu denken, und wenn ich Schulden habe, hole ich wochenlang meine Kontoauszüge einfach nicht mehr ab. Das hilft. Wenn mein Sohn Henri weint, weil er über seinen Traktor gestolpert und auf die Nase gefallen ist, verstecke ich mich in seinem Zimmer hinter dem Kasperletheater und lasse den Räuber Hotzenplotz vom Seppel in eine Falle locken. Sofort hört er mit Weinen auf. Nichts anderes machen Bild und Gala mit ihren Lesern. Demnächst wird uns sicher die neue Liebe von Boris Becker vorgestellt und „warum ‚sie‘ ‚ihn‘ so glücklich macht“. Ich freue mich schon darauf. Möglicherweise, und daran hat bei der Welternährungsorganisation wohl noch keiner gedacht, sollte man in jeden Maissack für Simbabwe noch eine Bunte legen. Weil die wenigen Hilfslieferungen, die der Westen derzeit ins südliche Afrika schickt, sowieso nicht ausreichen, um den echten Hunger zu stillen, könnte man so mit einfachen Mitteln wenigstens den Gedanken an den Hunger bekämpfen.

Meine Güte, was bin ich erschrocken, als ich gestern die neueste Bunte aufschlug und auf Seite fünf das Foto sah: ein aufgeschwollener Bauch im Vordergrund und dahinter ein Luxusauto. Aber zum Glück war es dann doch kein afrikanisches Kind, sondern nur eine Hochschwangere vor dem neuesten Toyota-Modell, „serienmäßig mit zwei integrierten Kindersitzen“. Ich war beruhigt.

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