Angeln, Essen und Ficken

Urbane Melancholie und moderne Heimatlosigkeit: Mit „Autumn Moon“ ist im 3001 ein faszinierendes Frühwerk von Clara Law („The Goddess of 1967“) auf der großen Leinwand zu sehen

Bislang war sie nur ausgebufften Hongkong-Afficinados ein Begriff. Erst kürzlich, mit dem deutschen Kinostart des Roadmovies The Goddess of 1967 (2000) hat sie endlich auch hierzulande die Beachtung erfahren, die sie eigentlich schon lange verdient: Clara Law. Gemeinhin schlägt man sie mit Stanley Kwan und Wong Kar-Wai jener Gruppe von auteurs zu, die man als „zweite Generation“ der Hongkong-chinesischen nouvelle vague bezeichnen könnte. Wie Ann Hui oder Tsui Hark, beides Vertreter der dazugehörigen „ersten Generation“, begann auch Clara Law ihre Karriere beim Fernsehen.

Doch anders als in den siebziger Jahren, als eine neue Generation von im Ausland ausgebildeten Filmemachern die Genre-Grenzen des Kinos der ehemaligen Kronkolonie zu überwinden suchte, haben die Filme eines Wong Kar-Wai oder einer Clara Law eine ganz andere Grenze im Visier: die des Nationalstaats und der National-Kinematographie. Und das nicht nur finanziell auf Seiten der Produktion, sondern mindestens genauso inhaltlich wie stilistisch. Laws und Wongs Kino ist eines der De-Territorialisierung, der Migration und der kulturellen Hybridität, die mit dem Begriff postmodern gerade mal unzureichend – und gänzlich unpolitisch – beschrieben ist.

Im portugiesischen Pachtgebiet Macao geboren und in der damals noch britischen Enklave Hongkong aufgewachsen, studierte Clara Law englische Literatur an der University of Hongkong und Regie in London. Heute lebt sie in Melbourne. „In den drei Jahren in London fühlte ich mich immer als Mittelding, nicht allzu chinesisch, aber auch nicht sehr englisch“, gab sie einmal zu Protokoll. Von derartigen Erfahrungen erzählen nahezu alle ihrer Filme, und Autumn Moon ist – neben dem ins Zen-buddhistische überhöhten Kung-Fu-Melodram Temptation of a Monk – ganz sicher einer ihrer schönsten. Aber genauso sicher auch einer der sprödesten.

Autumn Moon handelt vom 15-jährigen Schulmädchen Wai (Li Pui-Wai), die im Laufe des kommenden Jahres von Hongkong nach Kanada auswandern wird. Ihre Familie ist schon dort; Wai blieb zurück, weil ja irgend jemand noch die Großmutter versorgen musste. Eines Tages stößt sie auf Tokio (Masatoshi Nagase, bekannt aus Mystery Train), einen japanischen Touristen, der in Hongkong hängen geblieben ist. Sein Leben besteht aus drei Dingen: Angeln, Essen und Ficken. All das und die Zeit dazwischen filmt er mit einer Videokamera, die ihm als eine Art Tagebuch seiner verschwendeten Jugend dient.

Autumn Moon erzählt dabei in ruhigen Tableaus und verwackelten Video-Inserts von den platonischen Treffen der beiden bei Wais Großmutter, einer echten Wok-Göttin – und Tokios beginnender Affäre mit der älteren Schwester seiner ersten Freundin in Japan, an die er sich genauso wenig erinnern kann wie an die Freundin selbst. Weil Wai und Tokio die Sprache des anderen nicht verstehen unterhalten sie sich in gebrochenem Englisch, immer wieder unterbrochen von inneren Monologen auf Japanisch oder Kantonesisch. Die geradezu kammerspielhafte Klaustrophobie unterbricht Law durch Helikopter-Shots von Hochhäusern, die kaum weniger urbane Melancholie und moderne Heimatlosigkeit vermitteln.

Nur langsam, dafür aber sicher, stellt sich Vertrauen zwischen den beiden ein. Zu großen Worten kommt es dabei nicht – denn die stille Schönheit dieses Films, der bereits wesentliche Themen von The Goddess of 1967 vorwegnimmt, liegt woanders: in jenen Zwischenräumen, in denen heute allein so etwas wie Identität als Versprechen eines glücklicheren Lebens aufzublitzen vermag. Tobias Nagl

tägl. außer Sonnabend und Sonntag, 18 Uhr, 3001