Ein neues Kapitel Forschung aufschlagen

Die Bremer Sozialhilfedichte ist auch im Bundesvergleich dramatisch. Jetzt wollen Sozialpolitiker wissen, welche Hilfestellungen für SozialhilfeempfängerInnen fruchten – und welche nicht.

Wie gelingt SozialhilfeempfängerInnen der Ausstieg aus der Stüze? Was sind die Voraussetzungen dafür, dass sie auch langfristig draußen bleiben? Die Antworten auf diese Fragen sucht zurzeit das Bremer Zentrum für Sozialpolitik in einer bislang einzigartigen Studie, die das Bundesministerium für Arbeit in Auftrag gegeben hat. Außerdem hat nun auch Bremen Geld bereit gestellt, um die besondere Lage im kleinsten Bundesland analysieren zu lassen, wo jeder zehnte von der Stütze lebt. Die taz fragte die Wissenschaftlerin Petra Buhr , was von der Studie zu erwarten ist. Sie leitet das Projekt gemeinsam mit Professor Stefan Leibfried.

taz: Seit zehn Jahren forschen Sie über das Thema Sozialhilfe. Nehmen Sie die öffentliche Debatte um das Thema nach so langer Zeit gelassen – oder können Sie sich doch noch ärgern?

Petra Buhr: Es ärgert mich schon Manches. Dass viele Sozialhilfeempfänger in einen Topf geworfen werden beispielsweise. Dadurch wird erstens der – falsche – Eindruck verstärkt, dass es sich um eine homogene Gruppe handelt. Und zweitens verlaufen dann die Debatten entsprechend. Bei der „Faulheitsdebatte“ beispielsweise wurde die ganze Gruppe der Sozialhilfeempfänger als arbeitsunwillig dargestellt, andererseits wird manchmal der Eindruck erweckt, alle seien „Sozialfälle“ und könnten gar nicht arbeiten. Beide Vereinfachungen treffen nicht zu.

Haben Sie dabei in den letzten zehn Jahren bemerkenswerte Veränderungen festgestellt?

Bei der Zusammensetzung der Empfängergruppe weniger. Nach wie vor gibt es darunter viele Alleinerziehende. Auch Ausländer haben nach wie vor ein hohes Risiko. Viel getan hat sich dagegen von Seiten der Sozialhilfeverwaltung: Es werden mehr aktivierende Maßnahmen angeboten, um die Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Zugleich ist aber das Klima insgesamt rauher geworden, weil in der Öffentlichkeit verstärkt unterstellt wird, die Sozialhilfeempfänger wollten nicht arbeiten.

Sie sollen nun bundesweit untersuchen, unter welchen Bedingungen der Ausstieg aus der Sozialhilfe gelingen kann – und zugleich eine Studie mit Bremer Schwerpunkt erstellen. Wie ist Bremen anders als der Rest der Republik?

Wir wollen feststellen, was nach dem Ausstieg aus der Sozialhilfe passiert. Leben die Leute ohne Stütze – oder kommt ein Rückfall? Wir untersuchen also die finanzielle und Erwerbssituation, fragen nach dem Familienleben und allen weiteren Faktoren, um festzustellen, ob es Risikofaktoren für einen erneuten Sozialhilfebezug gibt. Dabei interessiert uns natürlich auch, ob die Hilfen, die das Sozialamt leistet, wirkungsvoll waren und welchen Einfluss sie hatten. Es wird ja viel gemacht, von der Hilfe zur Arbeit, der Ausstiegsberatung bis hin zur Direktvermittlung in den ersten Arbeitsmarkt.

Tatsächlich ist Bremen ein besonderer Fall, weil fast jeder zehnte Bremer Hilfe zum Lebensunterhalt bezieht. Das ist eine enorm hohe Sozialhilfedichte, weswegen die Politik natürlich wissen will, was getan werden kann, damit Betroffene aus der Sozialhilfe rauskommen – und auch nicht wieder zu ihr zurückkehren. Deswegen werden wir in Bremen zusätzliche Fälle untersuchen.

Das heißt, Sie werden nun Leute mit einem Fragenkatalog überraschen, die dachten, sie hätten die Sozialhilfe hinter sich gelassen. Geht das gut?

Unsere Studie ist innovativ, wir haben keine Erfahrung mit genau diesem speziellen Personenkreis, den wir nun mehrmals innerhalb von drei Jahren befragen wollen. Es ist möglich, dass einige Personen die Vergangenheit schon abgeschlossen haben. Es kann aber auch sein, dass Menschen ihre Verbesserungsvorschläge und Erfahrungen mit den Ämtern einbringen wollen. Wir hoffen, der Politik hinterher klare Verbesserungsvorschläge machen zu können,

Fast ein Viertel der Sozialhilfeempfänger in Bremen lebt über fünf Jahre und länger von der Stütze. Meinen Sie, dass es für die noch Rat gibt?

Wir werden auch den langsameren Ausstieg untersuchen – beispielsweise von Alleinerziehenden, die bei abnehmenden Familienpflichten wieder in den Beruf zurückkehren. Aber man darf sich natürlich nichts vormachen, für manche Gruppen ist es ganz, ganz schwierig, aus der Sozialhilfe rauszukommen. In unserer Studie kommen sie aber nicht vor, weil wir uns auf die Abgänger konzentrieren.

Auf welches Ergebnis Ihrer Studie sind Sie persönlich am meisten gespannt?

Ich bin gespannt darauf zu erfahren, ob Personen, die mit staatlicher Hilfe aus dem Sozialhilfebezug rausgekommen sind – also durch eine Maßnahme wie Hilfe zur Arbeit oder andere – genauso dauerhaft sozialhilfeunabhängig leben wie Personen, die das eigenständig geschafft haben. Wobei wir über diese Gruppe der Aussteiger bisher nichts wissen. Allerdings wissen wir aus einer älteren Studie, dass von den Neuempfängern von Sozialhilfe rund die Hälfte im selben Jahr wieder aus dem Bezug geht, das heißt, die Stütze wird vielfach nur ganz kurzfristig in Anspruch genommen.

Glauben Sie, dass das immer noch gilt?

Wie sich das geändert hat weiß kein Mensch genau. Fest steht, dass die Sozialämter heute schon gleich bei der Eingangsberatung versuchen, möglichst viele Personen in Arbeit zu vermitteln. Da könnte sich etwas verändert haben. Andererseits dürfte der Personenkreis kleiner geworden sein, der nur vorübergehend Sozialhilfe bezog, weil das Arbeitsamt oft so spät zahlte, dass Berechtigte sich für Vorleistungen ans Sozialamt wenden mussten. Die Zusammenarbeit zwischen den Sozial- und Arbeitsämtern hat sich an dieser Stelle verbessert. Fragen: Eva Rhode