Mach den Mahatma

Struck statt Scharping – und das Bundeswehr-Gelöbnis am 20. Juli wird noch friedsamer

Das Gelöbnis macht die Bundeswehr zur größten pazifistischen Basisgruppe

Rudolf Scharping, seit der gewaltfreien Regierungsübernahme durch Rot-Grün 1998 der große Mahatma an der Spitze unserer Streitkräfte, ist durch fiese Intrigen einer windigen Hamburger Sockenrechnungsenthüllungsillustrierten in die Arbeitslosigkeit gestürzt worden. Das ist bitter. Denn heute wird bei der Bundeswehr im Berliner Bendlerblock wieder fröhlich, friedlich und feierlich gelobt und geschworen, was das Zeug hält. Und Visionär Scharping, der den kühnen Trend zum alljährlichen Friedensgelöbnis am 20. Juli setzte, darf bei dieser Soldatenfeier des Jahres nicht mehr Zeremonienmeister sein, nicht mehr die Früchte seiner bahnbrechenden Arbeit ernten, und muss ausgerechnet Peter Struck das Schlachtfeld überlassen. Das ist doppelt, ach was, dreifach bitter.

Dabei zeigt gerade das anmutige und zutiefst demokratische Gelöbnisritual wie weit Scharpings Projekt des Umbaus der Bundeswehr zur größten pazifistischen Basisgruppe der BRD schon vorangeschritten ist. Da ist zunächst einmal das Datum: Der von Scharping gewählte 20. Juli macht wie von Zauberhand alle Gelöbnis-Soldaten zu Widerstandsbündeln und renitenten Eigensinnskanonen. Durch das Initiationsritual am magischen Datum mit Gerechtigkeitssinn und Zivilcourage geimpft, stellen sich die Soldaten dem Unrecht zu Haus und in der Welt überall mutig entgegen. Wo die Wehrmachtsgroßväter noch blind ihrem Führer folgten, fragen die heutigen Friedenssoldaten dreimal nach, blättern im Grundgesetz und diskutieren Probleme aus. Dann bombardieren sie unter Gewissensbissen und mit Augenmaß nur das wirklich absolut Nötigste und die nachweislich bösesten Bösewichte. Anstatt wie früher einfach die Zivilbevölkerung zusammenzuschießen, beginnen die Friedenssoldaten von heute sofort nach dem Bombardement mit dem Brunnenbau, konstruieren Brücken und Straßen, viel schöner als zuvor, füttern kleine Flüchtlingskinder, pflanzen Bäume und helfen alten Leuten über die Straße. Der Grundstein zu diesem vorbildlichen Verhalten wird beim Gelöbnis gelegt. Hier manifestiert sich die neue radikalpazifistische und grundgute Grundhaltung der Truppe.

Das zeigt sich auch an den Rednern der Gelöbniszeremonie: Im vergangenen Jahr sprach der Zentralratsvorsitzende der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, diesmal hält der polnische Präsident Aleksander Kwasniewski eine Rede. Engagement für die Minderheiten und Versöhnung mit den Nachbarn – so sehen die neuen Aufgaben der Bundeswehr aus, die immer mehr zu einem gütigen, weltweit einmaligen Heer von Streetworkern für den Frieden umgebaut wird. Nach der Verbrüderung mit Juden und Polen hatte Scharping kurz vor der Wahl noch ein gigantisches multikulturelles Gelöbnis-Festival mit Migranten, Behinderten, Kommunisten und Deserteuren geplant, um den zukunftsweisenden Paradigmenwechsel bei der Bundeswehr komplett zu machen. In Töpferkursen, Batikgruppen und Tantra-Seminaren sollten Soldaten und Minderheiten sich beim Gelöbnis näherkommen und basisdemokratische Verbindungen knüpfen. Gemeinsame Wandzeitungen sollten erarbeitet werden, gemischte Trommelgruppen sollten sich bilden und Rollenspiele in gewaltfreiem Widerstand absolviert werden. Doch daraus, so schien es zumindest am Donnerstag, würde jetzt nichts mehr.

Doch Mahatma Scharping will weiter für die Friedensarmee kämpfen. „Es gibt Aufgaben, die größer sind als wir selbst“, wiederholte er gestern in neuem Zusammenhang einen seiner Lieblingssätze. Gemeinsam mit der Hippiezopfträgerin Angelika Beer möchte Scharping als Privatmann jetzt weitere Vorschläge zur friedlichen Bundeswehrreform erarbeiten, ja, er halte Beer sogar für „die geeignetste Person für das verantwortungsvolle Amt des Verteidigungsministers nach der Bundestagswahl“, sagte Scharping gewohnt selbstlos. Angelika Beer kündigte ihrerseits bereits an, das Engagement der Bundeswehr für den Frieden dürfe sich nicht auf die Wahrung der Menschenrechte beschränken, sondern müsse auch für die Tiere Partei ergreifen. „Selbst wenn heute auf der Welt jedes Jahr nur noch ein Frosch überfahren würde, wäre dies ein Frosch zu viel“, sagte Beer. Staaten, die immer noch gegen die internationale Konvention zum Bau von Froschwanderwegen verstoßen, hätten ihr Recht auf Souveränität verwirkt. Nach der Wahl wollen die Grünen einen Gesetzentwurf einbringen, der die Gelöbnisformel um einen Zusatzschwur zugunsten der geschundenen Tiere erweitert. Das zumindest lässt hoffen, für den Frieden, für Deutschland und unsere pazifistische Streitmacht, die heute in besonders schwierigen Zeiten ihr besonders bewundernswertes Gelöbnis abhält.

MATTHIAS THIEME