Mutig queer

Kroatische Schwule und Lesben können auf eine liberal gesinnte Öffentlichkeit setzen

von HEIKO HÄNSEL

Vieles hat sich in der exjugoslawischen Teilrepublik seit der Ablösung des Tudjmanregimes geändert. Beispielsweise hat die Schwulen- und Lesbenbewegung während der vergangenen zwei Jahre den entstandenen Freiraum genutzt, um sich zu organisieren. Nun ging sie erstmals an die Öffentlichkeit: Am 29. Juni 2002 hat die kroatische Homobewegung eine politische Demonstration mit dem Titel „Gay-Pride-Parade Zagreb 2002“ veranstaltet, um unter dem Motto „Ein Schritt voran gegen Vorurteile“ auf ihre gesellschaftliche Diskriminierung hinzuweisen.

Träger der Veranstaltung, an der etwa dreihundert Menschen teilnahmen, waren die Lesbengruppe „Kontra“ und die Schwulengruppe „Iskorak“. In beiden Verbänden haben sich Männer und Frauen zwischen achtzehn und dreißig Jahren organisiert. Ihre politische Agenda ist westlich orientiert: Eingefordert werden unter anderem das Recht auf Heirat sowie Betreuung des Lebenspartnes im Krankheits- und Pflegefall. Zentrales Anliegen ist jedoch die Änderung des Paragrafen 14 der Verfassung, in den das Verbot der Diskriminierung wegen sexueller Orientierung aufgenommen werden soll.

Anders als vor einem Jahr in Belgrad gelang es rechtsextremen Skinheadgruppen und den mit ihnen alliierten Fußballfans in Zagreb nicht, die Demonstration zu zerschlagen. Das lag vor allem daran, dass „Kontra“ und „Iskorak“ bereits im Vorfeld Vertreter der liberalen kroatischen Öffentlichkeit auf ihre Seite ziehen konnten. Die Vorberichterstattung in den Medien fiel ausgesprochen positiv aus. Und mit Innenminister Sime Lucin von den mitregierenden Sozialdemokraten nahm ein ranghoher Politiker persönlich am Demozug teil. Er rief den Teilnehmern auf der Schlusskundgebung ermutigend zu: „Ich bewundere eure Zivilcourage. Kämpft weiter für eure Rechte!“

Dem Innenminister war es auch zu verdanken, dass die Veranstaltung von einem polizeilichen Sicherheitskordon abgeschirmt wurde. Offiziell unterstützte allerdings nur die Liberale Partei, kleinste der fünf Regierungsparteien, die Demo. Dafür waren Vertreter der Friedensbewegung, der Antiglobalisierungskritiker, der italienischen Minderheit und der auflagenstarken Tageszeitung Novi List umso zahlreicher erschienen. Dazu gesellten sich der Chef der UN-Menschrechtskommission in Kroatien, Juan Pablo Ordóñez, und Dennis van der Veur, ein Vertreter der niederländischen Schwulenbewegung.

Ist der Kampf um Homorechte in Kroatien also schon halb gewonnen? Keineswegs. Homophobie ist auf dem Balkan weit verbreitet, auch in Kroatien; in einer Umfrage sprachen sich siebzig Prozent der Befragten gegen Gesetze zur Gleichstellung oder zum Schutz von Schwulen und Lesben aus. Dieser konservative Teil der kroatischen Gesellschaft brachte an jenem Tag seine Ablehnung auch deutlich vor.

Als die Homoparade aufbrach, setzte ein Pfeifkonzert ein. Eier und Melonen wurden auf die Demonstrierenden geworfen, Beschimpfungen wie „Ihr seid Tiere!“ und „Ab ins Ghetto mit euch!“ waren zu hören. An vielen Stellen der Stadt wurden die Schwulen, Lesben und sie unterstützende Heterosexuelle jedoch mit großem Applaus begrüßt. Die meisten Zagreber verhielten sich freilich neutral bis desinteressiert der Demonstration gegenüber – was vielleicht das beste Zeichen war.

Kurz vor dem Ende der Veranstaltung kam es allerdings zu einem ernsten Zwischenfall: Skinheads schossen zwei Tränengasgranaten in die Kundgebung. Und am Nachmittag drangen sie in den Internetclub MaMa ein, der „Iskorak“ und „Kontra“ seine Räume für Veranstaltungen zur Verfügung gestellt hatte. Ein Mitarbeiter des Clubs wurde durch Fußtritte verletzt; einem anderen Kundgebungsteilnehmer wurden bei einem Überfall in der Innenstadt einige Rippen gebrochen.

Dennoch, die „Gay-Pride-Parade Zagreb 2002“ wurde als Erfolg gewertet. Die Forderungen der Homobewegung sind nun Bestandteil der politischen Debatte. Noch wichtiger: Die Bewegung hat zahlreiche Verbündete gefunden. Eine gute Ausgangsposition für die Kämpfe der kommenden Jahre.

HEIKO HÄNSEL, Jahrgang 1971, ist Historiker und Verlagsredakteur in Potsdam. Er lebt in BerlinInfos zum homosexuellen Kroatien: www.gay.hr und www.cro-lesbians.com/kontra