Farbtrunken vorgelesen

Geheimnisse zu hüten und gleichzeitig zu lüften, das kann Kirsten John, wie sie mit ihrem Roman bewiesen hat. In Oldenburg präsentierte sie jetzt ihr Romandebüt

„Man darf nicht über die Linien des Menschen malen. Dann ertrinkt man nicht in Blau“

„Ich will alle Farben zum Schwimmen und so viel Blau, dass ich darin ertrinken könnte.“ Katharina sollte schreiben. Alles aufschreiben. Aber schreiben konnte sie nicht, nur malen. Also schrieb sie mit ihren Bildern die Welt auf, ermutigt von Onkel Daniel, der plötzlich verschwand, verleugnet von der Familie.

„Schwimmen lernen in Blau“ ist das poetische, zuweilen amüsante Romandebüt der Hannoveranerin Kirsten John. Im vergangenen Jahr erhielt sie dafür den Niedersächsischen Literaturförderpreis und in Oldenburg ließ sie am Dienstagabend die vielfarbigen Wortbilder durch die Lüfte des Schlossgartens schweifen. Die studierte Germanistin las auf Einladung des Oldenburger Literaturbüros.

Kirsten John lässt die Perspektive ihrer Erzählung changieren zwischen Katharinas Kindheitserlebnissen und ihrem Erwachsenendasein, zwischen dem Studium an der Kunsthochschule und der späteren Ehe mit ihrem Kunstprofessor Henning Overland. Der wird ihre Werke zwar einmal in seinem Namen verkaufen, aber nicht ohne sie zuvor wegen ihrer Malerei ständig gedemütigt zu haben.

Tatsächlich zeichnet Kirsten John hier ganz einfühlsam die Innenansicht einer Frau nach, die ihre kindliche Perspektive beibehält und sich darin vor dem Leben schützt. „Es ist kein Gefängnis, es ist endlos“, das Versteck der Bilder, in dem sie sich einsperrt, so wie damals als Kind, wenn ihre Opposition mundtot gemacht wurde. „Meine Welt verträgt nur farbiges Flüstern“, und darin stilisiert sich die junge Frau selbst, abmagernd, isoliert, mit einem Hang zur Selbstzerstörung. „Ich wusste nicht ob der Schnee draußen war oder bei mir“, und dann lässt sie bei Eiseskälte das Fenster offen stehen, und legt sich nackt aufs Bett.

Nur „was in einer dunklen Muschel geboren wurde“ will in ihr ans Licht, und die Unterwasserwelten mit ihrem Tang sind tatsächlich das Motiv für die Sinnlichkeit dieser Frau, die sich hier verkriecht, um schließlich vom Malereiprofessor verführt zu werden, als sie für ihn Modell steht.

Das heißt: Sie wollte seine Aufmerksamkeit, und zwar genau diese, und darum auch hat sie ihr Geschlecht mit roter Farbe bepinselt. Um ihn zu locken? War es die Farbe, die den farbversessenen Maler reizte, der die Anteile von Kadmium gelb und Karminrot an Sepia in Prozenten ausrechnet? War es Katharina? Es ist jedenfalls eines der amüsanten Bilder mit sarkastischem Unterton, als der Maler mit rotverschmiertem Mund zwischen den Schenkeln der Elevin auftaucht.

Und doch wird in dieser Figur ein wenig zu sehr das Klischee des selbstverliebten, in inszenierter Nonchalance daherkommenden Künstlers bemüht, auch die Ausflüge in die Farbtheorien und Mischungsverhältnisse sind zwar insgesamt gut recherchiert, aber wirken hier ein wenig zur Schau gestellt. Was Kirsten John dennoch wirklich gut gelingt, ist: ein Geheimnis zu hüten und es zugleich zu lüften: In einer bildhaften, teils allegorischen und dann wieder konkret poetischen Sprache schreitet der Roman wie ein Krebs mal vor, mal zurück, scharrt sich in den Sand der Kindheit, wird von einer Welle erfasst und zurückgeschleudert auf den Strand der Gegenwart.

Und man ahnt, dass diese Katharina so Recht hat, wenn sie sagt „man darf nicht über die Linien eines Menschen malen“, was sie beim Ausmalen mit Onkel Daniel gelernt hat. Denn genau das hat sie oft genug selbst erlebt, bis hin zur ausbeuterischen Ehe mit ihrem Malergenie. Missbrauch wird hier als Lebensgeschichte präsentiert, allerdings in vielfarbigen Facetten: Aufgeschrieben als Überlebensgeschichte, die das Thema kaleidoskopisch aufbricht und gleichzeitig das Kunststück fertig bringt, nie zu konkret, nie zu schwer zu werden, und mit Amüsement die Kraft der Figur zu enthüllen.

Marijke Gerwin

Kirsten John, „Schwimmen lernen in Blau“, Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart/München, 36,- DM