ITALIENS OPPOSITION SOLLTE DIE GEWERKSCHAFT CGIL UNTERSTÜTZEN
: Politik für die Mehrheit

Silvio Berlusconi pokert hoch. Mit seinem gerade unterzeichneten Sozialpakt geht der italienische Regierungschef auf frontalen Zusammenstoß mit der CGIL, der größten Gewerkschaft des Landes. Dass diese Organisation kein leichter Gegner ist, haben die massiven Proteste der letzten Monate gezeigt. Berlusconi, der sich gern als italienischer Wiedergänger Magaret Thatchers geriert, weiß also: Die CGIL ist nicht die National Miners Union, ihr Vorsitzender Sergio Cofferati nicht Arthur Scargill. Denn die CGIL kämpft nicht für die Interessen einer kleinen Minderheit in einer niedergehenden Branche, sondern für Anliegen, die von Millionen Italienern als essenziell empfunden werden.

Und doch ist Berlusconi kein bluffender Vabanque-Spieler. Er hat ein gut sortiertes Blatt in der Hand – und beherrscht zudem den einen oder anderen Kartentrick. Zum Beispiel kann er die begeisterte Unterstützung des italienischen Unternehmerlagers verbuchen. Seit Freitag hat er zwei weitere Trümpfe auf der Hand: das Ja der Gewerkschaften CISL und UIL zu einer ersten Aufweichung des Kündigungsschutzes. Das schwächt nicht nur die Protestfront – es ermöglicht auch das Ausspielen gezinkter Karten, die die CGIL in weitere Erklärungsnöte bringen sollen. Das beginnt bei den „Gegenleistungen“ der Regierung (die recht besehen keine sind) und setzt sich fort mit dem Argument, der Protest der CGIL sei gar nicht gewerkschaftlich motiviert, sondern rein politisch – sonst, so die platte Logik, hätten die anderen Gewerkschaften ja sicher nicht unterschrieben.

Als Berlusconis Joker könnte sich ausgerechnet die wacklige Haltung der Mitte-links-Opposition entpuppen. Denn auch dort ist der CGIL-Protest vielen ein Dorn im Auge. Die Oppositionsspitzen um Francesco Rutelli, Piero Fassino und Massimo D’Alema sind gar versucht, die CGIL ihrem Schicksal zu überlassen – aus Angst, es sich mit CISL und UIL zu verderben; aus der Überzeugung, der Gewerkschaftswiderstand sei konservativ und passe nicht in flexible Zeiten; aus der Furcht schließlich, in CGIL-Chef Sergio Cofferati könne ein gefährlicher Rivale im Kampf um die Führerschaft der Opposition heranwachsen.

Der Sieger in einer solchen Partie steht schon heute fest: Er heißt Silvio Berlusconi. Verlierer wären aber nicht nur die CGIL – auch die Opposition insgesamt wäre durch die Demontage ihres zurzeit einzigen Hoffnungsträgers Cofferati auf Jahre geschwächt, gespalten, demoralisiert. Und alle Gewerkschaften wären da, wo die Regierung sie haben will: in der Ecke des konstruktiven Sozialpartners, der zum Abnicken der Kabinettsentscheidungen taugt und ansonsten gleich gar nicht mehr bei Hof vorgelassen wird. MICHAEL BRAUN