Sieben Jahre für SS-Engel

Hamburger Landgericht verurteilt den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Friedrich Engel wegen 59fachen Mordes. Der 93-Jährige muss die Haft seines Alters wegen nicht antreten

HAMBURG taz ■ Im NS-Kriegverbrecherprozess hat das Hamburger Landgericht den Ex-SS-Obersturmbannführer Friedrich Engel gestern wegen 59fachen Mordes zu sieben Jahren Haft verurteilt. Die Kammer sah es als erwiesen an, dass Engel die „Tatherrschaft“ bei der gemeinschaftlichen Ermordung von Partisanen und politischen Gefangenen am Morgen des 19. Mai 1944 am Turchino-Pass hatte. Die Aktion sei unter der Regie des Außenkommandos Genua des Sicherheitsdienstes (SD) als Vergeltung für einen Bombenanschlag auf das deutsche Soldatenkino Odeon, bei dem fünf Marinesoldaten ums Leben kamen, durchgeführt worden.

Nur wegen der „außergewöhnlichen Umstände“ sah das Gericht von einer lebenslangen Freiheitsstrafe ab. Zum einen wäre nach der mehr als ein halbes Jahrhundert dauernden Verzögerung durch die Strafjustiz ein anderes Urteil „unverhältnismäßig“ gewesen. Zum anderen könne die „Nachkriegsgeneration“ die besonderen Kriegsverhältnisse 1944 „nicht richtig beurteilen“, so die Begeründung.

Engel, der damalige SD-Chef für Genua, bleibt trotz des Urteils in Freiheit. Das Gericht verzichtete ausdrücklich auf eine Inhaftnahme des 93-jährigen rüstigen Rentners, der sich noch vor dem Urteilsspruch als „mitverantwortlich, aber nicht schuldig“ bezeichnet hatte.

Für den Vorsitzenden der 21. Strafkammer, Richter Rolf Seedorf, war die Exekution als „Repressialenmaßnahme“ eigentlich durch das damalige „völkerrechtlichen Gewohnheitsrecht“ gedeckt. Denn das Attentat der Partisanen sei nach dem Kriegsrecht ebenfalls völkerrechtswidrig gewesen. Doch auch Sühneaktionen seien humanitäre Grenzen gesetzt gewesen. Die Art und Weise, wie die Maßnahme von Engel „als Nacht-und-Nebel-Aktion geplant, vorbereitet und durchgeführt“ worden sei, habe wegen ihrer Grausamkeit die „Humanitätsschranke“ überschritten. „Die Opfer mussten in die Grube sehen mit den Leichen und sterbenden Landsleuten, bevor sie selbst in die Grube im wahrsten Sinne des Wortes geschossen wurden“, beschrieb Seedorf das Massaker. Selbst wenn zugunsten Engels davon ausgegangen werden könne, dass er auf Befehl seines Oberkommandeurs gehandelt habe, gehe „die Form der Hinrichtung über das erforderliche Maß der Tötung hinaus“, sagte Richter Seedorf. „Die Tötung der 59 Menschen war grausam und zeigt Ihre gefühllose und unbarmherzige Gesinnung gegenüber den Opfern.“

Die Version Engels, er sei nur „stiller Beobachter“ der Exekution gewesen, weil die Marine die Befehlsgewalt gehabt habe, wertete das Gericht als „reine Schutzbehauptung“. So seien die Opfer von Engel persönlich ausgesucht worden, darunter viele Minderjährige. „Sie waren der veranwortliche Regisseur. Oder wozu bedurfte es Ihrer Anwesenheit, wenn das die Sache der Marine gewesen wäre?“, fragte Seedorf rhetorisch und gab selbst die Anwort. „Es widerspricht regelrecht dem Selbstverständnis der SS, sicherheitspolizeiliche Befugnisse sich vom Militär aus der Hand nehmen zu lassen.“

Ob das Urteil in einer möglichen Revision Bestand haben wird, ist fraglich. PETER MÜLLER
ANDREAS SPEIT

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