Lotse warnte eine Minute zu spät

Die Ursache des Flugzeugunglücks vom Bodensee bleibt unklar. Deutsche Ermittler bestreiten russische Vorwürfe

HANNOVER taz ■ Die Flugzeugkatastrophe am Bodensee gibt trotz erwiesener Fehler bei der Flugsicherung in Zürich weiter Rätsel auf. Nach den ersten offiziellen Feststellungen der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung in Braunschweig (BFU) hat der Fluglotse von Skyguide in Zürich zwar gegen Dienstvorschriften verstoßen und den Piloten der russischen Tupolew zu spät zum Ausweichen durch Sinkflug aufgefordert. Dies allein erkläre den Zusammenstoß mit 71 Toten aber nicht, sagte BFU-Direktor Peter Schlegel am Donnerstagabend.

Der BFU-Direktor dementierte dabei Berichte, nach denen der russische Pilot von sich aus die Flugsicherung vor einer Kollision gewarnt haben soll. Den Bandaufzeichnungen in Zürich zufolge forderte der Fluglotse den russischen Piloten nur 44 Sekunden vor dem Zusammenstoß zum Sinkflug auf. Dem kam die Besatzung der Tupolew erst 14 Sekunden später nach einer zweiten Aufforderung nach. In der Unfallnacht wurde die Radardatenverarbeitung von Skyguide gewartet und ein Warnsystem, das dem Fluglotsen automatisch eine gefährliche Annäherung zweier Maschine signalisiert, war außer Funktion. Nach Angaben von Schlegel durften sich daher zwei auf gleicher Höhe fliegende Maschinen lediglich bis auf sieben statt der sonst erlaubten fünf Meilen annähern. Um diese Vorschrift einzuhalten, hätte der Sinkflug jedoch mindestens 90 Sekunden vor dem Kreuzungspunkt der beiden Flugzeuge eingeleitet werden müssen. Offenbar sei auch die zweite Maschine, die Fracht-Boeing aus Bergamo, vor dem Zusammenstoß in den Sinkflug gegangen. 14 Sekunden vor dem Unglück sei in Zürich eine entsprechende Meldung des TCAS-Kollisionswarnsystems einer Maschine eingegangen, wonach ein „descent“, also ein Sinkflug, eingeleitet worden sei. Beide Maschinen waren mit der modernsten TCAS-Version ausgestattet, die im europäischen Luftraum Pflicht ist und eigentlich Kollisionen verhindern soll.

Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig warnte in Braunschweig vor schnellen Schuldzuweisungen. Ob menschliches oder technisches Versagen oder eine Verkettung unglücklicher Umstände Unglücksursache sei, müsse noch untersucht werden. Bodewig stellte bereits Konsequenzen für Sicherheitstechnik und -vorschriften in Aussicht. Bei einem Kollisionswarnsystem, das einen Zusammenstoß zumindest mit verursachen kann, erscheinen sie notwendig.JÜRGEN VOGES