Aufgeschäumtes Drama

Alles Low Budget: Vital arrangiertes Blendwerk auf der 8. „Ortsbegehung“ im NBK

Lehrjahre sind immer Bauschaumjahre. Wer sich an der Kunsthochschule eingeschrieben hat, findet schnell Gefallen an dem hellbraunen oder minzgrünen Schmodder, der aufgespritzt wird, sich dann wie Hefeteig weitet und schließlich zu einem passablen Baumaterial verhärtet. Damit kann man arbeiten, das macht Spaß, und vor allem sieht es subversiv aus, wie eine mit Macht herausgepresste Kotsäule. Die meisten StudentInnen wissen zwar, dass diese Idee nach jahrelangen Bauschaumexzessen nicht mehr ganz neu ist; und trotzdem wird mit dem Zeug weiter in Ateliers rumgesaut, das gehört zur Ausbildung – so wie der Wunsch, Pornos zu drehen, zum Studium an der Filmhochschule.

Es gibt aber auch Leute, die kommen gar nicht mehr los von dem Zeug. Zum Beispiel Klaus Winichner, der zwischen 1989 und 1995 in München, Karlsruhe und Amsterdam ausgebildet wurde, und derzeit im Neuen Berliner Kunstverein ausstellt. Er macht Skulpturen aus Bauschaum, in die er Kacheln, Faserbeton oder Bücher steckt. Nun liegen die amorphen und leicht perversen Haufen im Raum herum, haben Titel wie „Psycho Pillar“ und sind, wie Klara Wallner als Kuratorin der 8. „Ortsbegehung“ meint, „Objektsymbiosen, die wie Protagonisten eines Dramas daherkommen“. Doch das Drama ist in diesem Fall nicht Kenneth Walkers Buch „Vom Blut und seinen Geheimnissen“, das irgendwo im Schaum klebt, es ist überhaupt die Inszenierungsform, mit der Winichner Dinge verbindet, die nicht zueinander passen. Seine Skulpturen sind Abbild einer kaum sublimen Gewalt, die im weichen Material angelegt ist, um sich nach dem Trockenvorgang zu entladen. Die Konfrontation von Alltagsfundstücken ist bei Winichner das Ziel; der Weg dorthin eher ein Trick, ein Effekt der Metamorphose des Materials.

Wenn man unter diesem Aspekt die ebenfalls gezeigten Arbeiten von Berta Fischer und Anselm Reyle hinzuzählt, ist Wallners „Der Zauber des Verlangens“ betitelte Ausstellung in der Tat ein ziemlicher Budenzauber. Reyle nimmt alte Holzverkleidungen aus DDR-Interieurs, die er von der Rückseite magisch beleuchtet; oder er schraubt grelle Glühbirnen in Siebzigerjahre-Lampen, damit die Old-School-Deko diskokompatibel blitzt. Fischer wiederum nutzt die Lichtbrechungen auf durchsichtigen Folien, die sie als luftige Säulen in die Galerieräume gehängt hat. Wenn sie sich von Motoren angetrieben drehen, ergibt das eine hübsch fragile kinetische Plastik, irgendwo zwischen Naum Gabos konstruktivistischen Ideen und dem Noppenpolster-Minimalismus von Gerwald Rockenschaub.

Anders als bei früheren Ortsbegehungen, für die der NBK seit acht Jahren jeweils drei KünstlerInnen von wechselnden KuratorInnen auswählen lässt, war für Wallner vor allem das gesamte Erscheinungsbild wichtig. Dass sich die Arbeiten ergänzen, liegt auch an dem klar abgesteckten Umfeld: Reyle und Fischer werden unter anderem von der Galerie Giti Noubaksch vertreten, Winichner kommt aus dem Kollektiv der Galerie Maschenmode, das nebenbei den Dirt-Club betrieben hat. Trotzdem sind sie nicht bloß State of the Art der momentan aufstrebenden Berliner Kunstszene, vielmehr zeigt sich an den Exponaten, wie bestimmte Trends der letzten Jahre verfeinert wurden – dazu gehören Design und Architektur, Flohmarkttrash oder Winichners performanceartige Utensilien. Der gemeinsame Nenner liegt im Material: alles Low Budget. Wer davon auf die veränderte Ökonomie in Mitte schließt, wird sich über das äußerst vital arrangierte Blendwerk amüsieren. Der Rest sieht Kunst, die sich aus Wohnzimmerbars und dem Nachtleben ganz gut im Betrieb hochgejammt hat. HARALD FRICKE

Bis 11. 8., Di.–Fr. 12–18, Sa., So. 12–16 Uhr, im NBK, Chauseestraße 128/129