Rocky-Verfilmung ohne Klitschko

Angekommen in Amerika: Wladimir Klitschko bezwingt Ray Mercer in der 6. Runde nach technischem K.o. und wehrt sich erfolgreich gegen das Klischee vom einfältigen Schlagautomaten. Ist Amerika an einem Duell Klitschko vs. Lewis interessiert?

von PETER UNFRIED

Man kann nicht behaupten, dass die Vereinigten Staaten umgehend ihren Herzschlag beschleunigt haben, als die Klitschko-Brüder eingeflogen kamen. Ganz und gar nicht. Aber die Art und Weise, wie WBO-Weltmeister Wladimir Klitschko dann am Samstagabend im Trump Taj Mahal-Casino von Atlantic City den Herausforderer Ray Mercer abfertigte (TK.o. in der 6. Runde), kann ihn doch weiter bringen, als man für möglich hielt.

Mercer (41) aus Fayetteville, North Carolina, war im letzten Jahrhundert mal Vorgänger Klitschkos als WBO-Weltmeister. Okay, seine allerbesten Tage liegen naturgemäß zurück. Aber er hat immer noch einen Namen. Es war tatsächlich das erste Mal, dass er einen Kampf vorzeitig verlor. Klitschko, der jüngere, hatte in der 1. Runde sofort die Kontrolle übernommen und Mercer an deren Ende mit zwei mächtigen linken Haken auf den Boden geschickt. Das war‘s praktisch schon. „Davon habe ich mich nicht mehr erholt“, sagte Mercer.

Was Klitschko (26) will, ist bekannt. Der Ukrainer mit Geschäftsitz Hamburg ist boxerisch und ökonomisch an den Grenzen dessen angelangt, was sein Promoter und Manager Klaus-Peter Kohl in Zusammenarbeit mit dem Geschäftspartner WBO zu bieten hat. Seit seiner einzigen Niederlage, 1998 gegen den Niemand Ross Purity, hat er 15 klare Siege gelandet, 39 sind es nun im Ganzen.

Das „Mekka des Boxens“ pflegte er in den Tagen von Atlantic City die USA zu nennen. Für ihn gilt, was schon für Max Schmeling galt: Erst wer hier jemand ist, genießt „weltweite Anerkennung“ (ausbezahlt in US-Dollar). Für die, die das noch nicht wußten, wiederholte er es noch einmal bei der Siegerpressekonferenz. Er will als nächsten Gegner „hoffentlich Lewis“, den WBC- und IBF-Weltmeister. Die Konjunktur in der Schwergewichtsbranche ist im Moment nicht eben gut. Nach dem großen Zahltag von Memphis ist eigentlich keiner mehr da, den man gegen Lennox Lewis (36) ranlassen könnte - unter der unternehmerischen Prämisse möglichst viele Leute dazu zu bringen, möglichst viel Geld dafür auszugeben.

Die großen Box-TV-Sender HBO und Showtime hatten mit Lewis-Tyson trotz Pay-per-View-Einzelpreis von 54.95 Dollar Rekordeinnahmen verbucht. Doch nun gilt Mike Tyson nicht mehr bloß boxerisch als erledigt, auch sein Verkaufswert als bizarres Monster ist aufgebraucht. Und die weiteren üblichen Verdächtigen der diversen Ranglisten geben die große Aufregung nicht (z. B. Chris Byrd) oder nicht mehr her (z. B. Holyfield).

Klitschkos Kampf gegen Mercer war sein erster, den der Bezahlsender HBO als Hauptereignis anbot. Ohne Aufpreis. Ob es einen Markt für ihn gibt, muss sich zeigen. Wäre Lewis nicht Engländer, sondern US-Bürger, könnte man Klitschko womöglich als eine Art bösen Russen nach Art der Rocky-Filme verkaufen. Doch ein Duell zweier Europäer? Da müsste man noch viel Aufregung kreiieren, bevor sich dafür in den USA TV-Freischaltungen verkaufen lassen.

Aber dafür kann Wladimir Klitschko ja nichts. Der hat jedenfalls ganz offenbar in Atlantic City nicht schlecht ausgesehen. Die lustigen Nummern, wie dem Gegner bei der Pre-Fight-Pressekonferenz Wasser über den Kopf gießen, überließ er Bruder Dr. Vitali. Er selbst blieb außerhalb des Rings unterkühlt, und im Ring widerlegte er mit flüssigem Stil das Vorurteil, osteuropäische Boxer seien Schlag-automaten, das sich hier seit den Rocky-Filmen hält.

Ein Klitschko ist ja im Übrigen auch nicht blöd. Und so hat Wladimir bei allem Drängen nach Lewis gesagt, dass er gerne auch gegen „Evander“ boxen würde, das ist der mehrfache Ex-Weltmeister Holyfield. Das ist schon realistischer. Auch Holyfield würde natürlich lieber gegen Lewis boxen, aber auch er ist dafür nicht (mehr) interessant genug. „Ich habe bewiesen, dass ich bereit bin für den großen Kampf“, sagte Klitschko.

Mag ja sein. Aber: Er sollte sich mal merken, was schon John F. Kennedy gesagt haben könnte: Frage nicht, ob du bereit bist für Amerika. Frage, ob Amerika bereit ist für dich.