Jobs gegen Abfall

Morgen muss sich Wirtschaftssenator Gregor Gysi (PDS) entscheiden, ob der Berliner Müll ab 2005 in Schwarze Pumpe entsorgt wird. Die dortige Anlage ist umweltfreundlich, aber hoch verschuldet

von STEFAN ALBERTI

26.230 Einwohner hat das brandenburgische Spremberg. Fast jeder Neunte davon ist ohne Job, von 2.871 Arbeitslosen ist auf einer Internetseite zum Ort zu lesen. Künftig könnten es deutlich mehr sein. Angeblich rund 1.500 Arbeitsplätze hängen am hoch verschuldeten und defizitären Abfallbetrieb beim Ortsteil Schwarze Pumpe, und dessen Zukunft entscheidet sich voraussichtlich an diesem Samstag. Dann tagt der Aufsichtsrat der Berliner Wasserbetriebe (BWB), denen das Sekundärrohstoffverwertungszentrum, kurz SVZ, seit 1995 gehört. Unter Vorsitz von Wirtschaftssenator Gregor Gysi (PDS) geht es um die Frage: Verkaufen und trotzdem auf den Schulden sitzen bleiben oder Insolvenz anmelden?

Von der Zukunft des SVZ, das teils auf Brandenburger, teils auf sächsischem Boden liegt und daher gleich drei Landesregierungen beschäftigt, hängt auch die weitere Berliner Abfallplanung ab. Bislang entsorgen die Wasserbetriebe dort einen Teil ihrer Klärschlämme. Ab 2005 aber sollen, noch auf Beschluss des rot-grünen Senats, auch die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) einen Teil ihrer Abfälle – Hausmüll, Sperrmüll, Gewerbeabfälle und Straßenkehricht – dorthin schicken. Sie dürfen wegen einer dann in Kraft tretenden Regelung nicht mehr direkt auf eine Deponie, sondern müssen behandelt werden. Beim SVZ-Verfahren würde daraus Methanol, das etwa in die chemische Industrie geht.

„Ob es am Ende der Woche eine Entscheidung gibt, ist offen“, sagt Pressesprecher Stephan Natz. Der laufende Verkaufsprozess werde fortgesetzt. Seit zwei Jahren bemühen sich die Wasserbetriebe, das SVZ abzustoßen. Zu hoch die Schulden, zu defizitär das laufende Geschäft – laut Natz jeweils in dreistelligem Millionenbereich.

2000 schien der Verkauf geschafft, doch im vergangenen Jahr stieg die US-Firma Global Energy, die rund 107 Millionen Euro zahlen sollte, wieder aus dem Vertrag aus. Im März endete eine erneute Ausschreibungsfrist. Seither gibt es immer neue Mutmaßungen über mögliche Käufer. Die Abfallfirma Rethmann aus Lünen, die RWE, das Essener Unternehmen AGR und die BSR wurden genannt, ein Konsortium um die sächsische Technologiefirma Choron Industries wurde angeblich favorisiert. Offizielle Aussagen gibt es nicht. „Wir sagen zu Vertragsangelegenheiten prinzipiell nichts, bis die mögliche Tinte unter einem möglichen Vertrag trocken ist“, sagt etwa AGR-Firmensprecher Heinz Struszczynski. Und bei den Stadtreinigungsbetrieben widersprach Pressesprecherin Sabine Thümler Darstellungen, die BSR habe ihr Angebot zurückgezogen. Doch die morgige Aufsichtsratssitzung hält sie für „mit Sicherheit entscheidend“.

Die Grünen-Abgeordnete Felicitas Kubala kritisiert im Vorfeld der Entscheidung, dass ökologische Kriterien eine zu geringe Rolle spielen würden. „Gysis Verwaltung prüft nur nach ökonomischen Faktoren“, sagte sie, die Abfallbehörde von Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) halte sich zu sehr zurück. Das stimme so nicht, ist von Strieder-Sprecherin Petra Reetz zu hören: „Wenn eine Lösung ökologisch nicht funktioniert, haben wir ein Vetorecht.“

Gutachten beurteilen die Lage unterschiedlich. Der Abfallwirtschaftler Bernd Bilitewski von der TU Dresden mag der BSR „weder aus wirtschaftlichen noch aus fachlichen Gründen“ eine Bindung an das SVZ empfehlen. Die Kölner Unternehmens- und Kommunalberatung DPU hingegen bezeichnet die Abfallverwertung im SVZ als „günstigste Option aus der Sicht des Umweltschutzes“.

Für den Fall einer SVZ-Pleite soll es bei der Stadtreinigung und im Senat schon Planungen für Alternativen geben. Demnach könnte der für Schwarze Pumpe bestimmte Müll in Kraftwerke oder Zementwerke gehen. Laut BSR-Sprecherin Thümler gibt es weder Planungsrückstand noch ein Entsorgungsproblem für die Zeit ab 2005.

Aber es gibt laut Thümler auch bei Erhalt des SVZ Einschränkungen für die geplante Bindung der BSR an Schwarze Pumpe. Zwar seien die Entsorgungskosten nicht allein ausschlaggebend für die Höhe der Müllgebühren. Aber: Wenn das SVZ, von wem auch immer betrieben, zu hohe Preise verlange, „dann kann man das dem Gebührenzahler nicht erklären“.

Ähnliches ist aus der Wirtschaftsverwaltung von Senator Gysi zu hören. „Wir können von der BSR nicht verlangen, dass sie sich marktwirtschaftlich verhält, und sie zugleich zu unwirtschaftlichen Lösungen zwingen“, sagt Gysi-Sprecher Christoph Lang.

Grünen-Abgeordnete Kubala hält Gysi vor, dass Arbeitsplätze den Ausschlag geben könnten – nicht jene bei Spremberg-Schwarze Pumpe, sondern in Berlin. Das könnte nach ihren Vermutungen dazu führen, das SVZ aufzugeben und in Berlin eine neue Müllverbrennungsanlage, kurz MVA, zusätzlich zu jener in Ruhleben zu bauen. Gysi-Sprecher Lang weist das zurück: Der Koalitionsvertrag von SPD und PDS verzichte ausdrücklich auf eine neue MVA. In der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sagt Petra Reetz: „Eigentlich schließen wir eine neue Müllverbrennungsanlage aus.“