fernöstlicher diwan
: Multinationale Fußballbegeisterung im Libanon

Drusen lieben Brasilien

Seit Beginn der Fußballweltmeisterschaft schmücken Fahnen aus aller Welt die Straßen und Häuser von Beirut – man könnte meinen, es gebe einen wichtigen Kongress der Vereinten Nationen. Doch ganz so international ist das Ambiente dann doch nicht: Die libanesischen Fans behängen ihre Fenster am liebsten mit den Flaggen Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Brasiliens, wobei die Trikolore und die italienische Fahne inzwischen deutlich weniger geworden sind. Nachdem Italien ausgeschieden war, klebten Regierungsbeamte eine ironische Todesanzeige an die Wände ihres Ministeriums – mit über hundert Telefonnummern darunter, wo Betroffene ihr Beileid kundtun konnten.

CHRISTINA FÖRCHS WM

Lieblingsspieler: Ronaldinho – seine Zahnlücke ist goldig

Lieblingsteam: Die gelb-blaue „Ordnung-und-Fortschritt“-Mannschaft

Weltmeister: Brasilien – sie haben es nach der letzten WM verdient!

Amerikanische und englische Banner sieht man überhaupt nicht, aus Gründen der Political Correctness – schließlich sind beide Länder mit dem unliebsamen Nachbarn Israel verbündet. Die Jungs an den Straßenkreuzungen, die normalerweise trotz Protesten der Fahrer die Frontscheiben der Autos wischen, verkaufen momentan alles, was das Fußballerherz begehrt: kleine Autowimpel für die Antenne, sechs Meter große Banner für den Balkon.

Die Libanesen haben ja kein eigenes Team – deshalb sucht sich jeder eine Lieblingsmannschaft aus und bekennt sich dann möglichst öffentlich und auffällig dazu. Auf dem Nachbarbalkon weht die argentinische Flagge in überdimensionaler Größe. Der Nachbar hat sie immer noch nicht abgenommen – entweder ein sehr tapferer Anhänger oder ein Praktiker: Jetzt dient sie ihm eben als Sonnenschutz, wenn er schon das Geld dafür ausgegeben hat! Um die Ecke meiner Wohnung hängt ein riesiges Banner in Schwarz-Rot-Gold über der Straße. Auch mein deutscher Kollege von CNN hat eine Deutschlandfahne vom Balkon runterhängen – nicht etwa, weil er so nationalistisch ist, sondern weil es alle Libanesen so machen. Deutsche Fahnen gibt es ziemlich viele in Beirut. Sie sind gleichmäßig über die gesamte Stadt verteilt, zusammen mit der brasilianischen. Eine Konzentration von Schwarz-Rot-Gold ist in schiitischen Stadtvierteln zu sehen – viele Verwandte der Schiiten leben in Berlin. Mein Lebensmittelhändler um die Ecke hat sie sogar an die Decke seines Tante-Emma-Ladens genagelt. Auch er hat einen Cousin in der BRD. Ich witzele dann: „Wie ich sehe, bist du für Senegal!“ Wütend entgegnet er mir: „Ich bin nur für Deutschland, ist das klar?!“

Brasilien liegt nicht in Südamerika, sondern in den libanesischen Bergen: In den drusischen Dörfern hängen haufenweise die „Ordem e progreso“-Flaggen der Brasilianer. Viele Drusen sind in das lateinamerikanische Land ausgewandert, 1990 zum Beispiel verließen auf einen Schlag hundert Bewohner ein libanesisches Bergdorf auf der Suche nach Wohlstand in den Tropen. Manche sind zurückgekehrt, haben Mate-Tee und brasilianische Lebensfreude mitgebracht – und sitzen natürlich gebannt vor dem Fernseher, wenn „ihr“ Team ein WM-Spiel bestreitet. „A boa vida“ – dem leichten Leben (auch was die sexuelle Zugänglichkeit der Frauen betrifft) jammern viele ehemalige Auswanderer nach. Im Brasilienfansein der Drusen schwingt oft eine gewisse Nostalgie mit!

Es gibt auch einige Brasilien-Anhänger unter der Hisbollah: Die kombinieren am liebsten den Brasilien-Wimpel am Auto mit einem grünen Islam-Fähnchen oder mit dem Hisbollah-Emblem (grüne Kalaschnikow auf gelbem Grund). Farblich passt das zusammen, wenn auch nicht ideell. Von der brasilianischen Lebensfreude des Samba und der String-Bikinis ahnen auch saudische Werbestrategen wenig. Was sie kennen, ist brasilianischer Fußball. Momentan läuft ein Coca-Cola-Spot im Fernsehen, in dem ein saudischer Fußballer à la Ronaldo durch einen orientalischen Suk läuft, mit einer Schar von arabischen Jungs in weißen Langkleidern hinter sich, die ihm das Leder streitig machen – was ihnen natürlich erst gelingt, als der saudische Ronaldo eine Pause einlegt, um sich eine Cola zu genehmigen.

Dass ich als Deutsche mit „eigener“ Nationalmannschaft nicht automatisch Deutschland-Fan bin, versteht hier niemand. Manchmal schäme ich mich schon fast ein bisschen dafür, habe den soeben gekauften brasilianischen Wimpel nicht an meinem Autofenster befestigt und schalte ab und zu heimlich den Fernseher an, wenn Deutschland spielt. Aber eigentlich habe ich mir eine neue Fußball-Heimat gesucht – genauso wie die Libanesen. Mein Herz schlägt nun mal für Brasilien. CHRISTINA FÖRCH